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Freispiel 25 Jahre Blue Monday

ByteFM: Freispiel vom 07.03.2008

Ausgabe vom 07.03.2008: 25 Jahre Blue Monday

I don´t like Mondays – die meistverkaufte Maxi ever und ihre Geschichten

Plötzlich lieben alle Joy Division. Wegen Anton Corbijns Film „Control“. Dem U2-Hoffotografen und Jungregisseur ist es gelungen, den armen Ian Curtis für immer mit Hitlers Sekretärin zu verbandeln. Ausgerechnet die unausgesetzt wispernde, hauchende Alexandra Maria Lara muss seine Geliebte spielen. Kein Wunder, dass er sich aufgehängt hat.

Zu Lebzeiten von Ian Curtis kursieren in der BRD vielleicht 500 Platten von Joy Division. Nach seinem Selbstmord im Mai 1980 wird die Band groß – in England. Dort geht „Love will tear us apart“ in die Top Ten. Im Juni ist London zugepflastert mit Plakaten von zwei Plattenhüllen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Dexy´s Midnight Runners „Searching for the young soul rebels“ in glühendem Rot und Grün, „Hey, Gib´ mir die Welt“, sagt das Cover mit dem Dickens´schen Soul-Rebellen. Und „Closer“, der Schwanengesang von Joy Division: Ein Grabstein in mattweiß, darauf ein Foto von Pierre Wolf mit einem aufgebahrten Toten.
Death sells, das wußte Peter Saville, der Hausdesigner von Factory Records. In Deutschland interessieren sich fortan vor allem Gothics für Joy Division.

Dass dieselbe Band – minus Ian Curtis - keine drei Jahre später die erfolgreichste Maxi-Single der Popgeschichte veröffentlichen sollte, das ist im Sommer 1980 so wahrscheinlich wie Energie Cottbus in der Champions League. Maxi-Singles werden produziert für die Bedürfnisse vergnügungssüchtiger Tanzhorden, die gar nicht genug kriegen können von repetitiven Beats, weshalb ein normaler Popsong mittels eingefügter Perkussion auf Überlänge gestreckt wird.
Die Maxi-Single ist ein zweckdienliches Werkzeug für den Disc-Jockey – also ungefähr das Gegenteil von künstlerischem Ausdruck, Autorenschaft, Authentizität. So sehen das damals die meisten Fans weißer Rockmusik, auch viele Punkfreunde, die nichts auf der Welt so hassen wie Disco. Der Hass macht einige so blind, dass sie den Songtitel „Death Disco“ von Public Image Ltd. – der Nachfolgeband der Sex Pistols – partout nur lesen können als: „Death to Disco“.
Überhaupt Sex Pistols und Joy Division: Beide Bands leben kurz und intensiv, bevor sie implodieren. Beider Ruhm verdankt sich auch dem frühen Tod eines Bandmitglieds. Beide gelten als Prototyp ihres Genres, hart, unerbittlich, unkorrumpierbar. Und beide, als sie unter neuem Namen wiederauftauchen, „verraten“ ihr Genre zu Gunsten afroamerikanischer und jamaikanischer Soundds, zu Gunsten eines antirockistischen Hedonismus.

Wie die Metamorphose der Sex Pistols zu PIL ist der Übergang von Joy Division zu New Order charakteristisch für die Postpunk-Ära. Drei-Akkordpunk ist an seine Grenzen gestoßen, genauso der austreckte Mittelfinger. Das Wort Punk steht im Postpunk vor allem für stilistische Öffnung: hin zum Funk, zum Reggae, zur Elektronik und, ja, hin zur Disco. Dieser allgemeinen Öffnung verdanken wir eine der kreativsten Epochen der Popgeschichte. Und „Blue Monday“, die meistverkaufte Maxi ever.

Nach dem Tod von Ian Curtis macht die Band zu dritt weiter, bevor die Keyboarderin Gillian Gilbert hinzukommt. Der Name New Order sorgt für Ärger, „Neue Ordnung“ war ein zentraler Begriff in der Ideologie des italienischen Faschisten Benito Mussolini. Nicht der erste anstößige Name:
In „The House Of Dolls“, dem Buch des ehemaligen KZ-Häftlings Yehiel Feiner, gibt es eine eine Gruppe von jungen Frauen, die im zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht zur Prostitution gezwungen werden, um nicht im KZ zu landen: Joy Division – Freudenabteilung. Könnte es sein, dass die Band sich unter dem Einfluss der neuen Frau verändert? Weniger monolithisch, weicher, spielerischer…weibliche skills?
Dazu passt, dass Gillian Gilbert bei „Blue Monday“ ihre Sequencer-Melodie zum falschen Zeitpunkt einspielt, so dass sie nicht auf den Beat passt. Die Band erklärt den Fehler zum happy accident, der dem Track seinen Charme verleiht. Wenn man Bernard Sumners Selbstauskunft glauben will, dann verdankt sich der Charme von „Blue Monday“ ansonsten vor allem seinen weiblichen bzw. sexuell ambigen Anteilen. Sumner nennt vier Songs, die Patin gestanden haben: „Uranium“ von Kraftwerk, den feinen Düsseldorfern; “Dirty Talk”, der Italo-Disco-Hit von Klein & MBO, ein Evergreen im schwulen Sub; “You Make Me Feel (Mighty Real)“, die Selbstermächtigungshymne der schwulen schwarzen Diva Sylvester; und “Our Love” von Donna Summer, die den größten Fehler ihrer Karriere beging, als sie ihre Abneigung gegen Schwule öffentlich herausposaunte. Ebensogut könnte der Verkäufer eines Veganerladens seine Kundschaft mit einem Eisbein in der Hand bedienen.

Donna Summers Kundschaft halbierte sich nach ihrem Anti-Gay-Outing.
Aus diesen Bausteinen basteln New Order im Cut Up-Verfahren einen Track, der – eigentlich unmöglich – beides zugleich ist: Patchwork und aus einem Guß. Das Flickenteppichhafte wird auf der B-Seite besonders deutlich. 1983 ist es bereits üblich, auf die Rückseite von Dance-Maxis Dub- oder Instrumentalversionen zu pressen, eine der Errungenschaften aus der jamaikanischen Musikkultur, die auf fruchtbaren Boden fallen zwischen Brooklyn und Manchester.
„The Beach“ heißt die B-Seite und ohne die Gesangsmelodie, die den Laden zusammenhält, zerfällt der Track in seine vielen Einzelteile. Als ob ein paar Jungs den neuen Elektrobaukasten von Weihnachten ausprobieren wollen. Jetzt muss unbedingt auch noch das letzte Tool getestet werden! Hey, da ist noch ein Echo! Hier ein Delay, ein Dubeffekt auf der Bassdrum, eine Melodica auf Speed! Wie, passt nicht zusammen? Wird passend gemacht! Gar nicht zu reden von Peter Hooks Signatursound: der Bass als Leadgitarre, das Bohren und Blechen. Die Einzelteile werden aneinandergeklebt mit dem Enthusiasmus der Liebenden, die im Französischen Amateure heißen. Und mit Prittstift oder Tesafilm, wie etwa zur selben Zeit ein gewisser Grandmaster Flash die „Adventures on the Wheels of Steel“ zusammengeschustert hatte.
Seltsam auch, dass ausgerechnet die blässlich-dünne Stimme von Aushilfssänger Bernard Sumner den Track zum Song macht. Nach dem Tod des Vokalcharismatikers (und -Pathetikers) Curtis ist der schmächtige Bernie bloß Notlösung. Dann füllt er die große Lücke mit einer dieser (nord-)englischen Non-Voices. Flach, nasal, unbeteiligt, vollkommen un-rock´n´roll, unverausgabung, aber irgendwie richtig zwischen Hi & Lo, also hedonistische Euphorie und – gleichzeitig - Depression ob der Unerfülltbarkeit der Versprechungen des Hedonismus.
Ein paar Jahre später kommt eine Stimme aus Manchester, die diese Klammer, die Schere zwischen Versprechen und Depression, noch drastischer ausdrückt, die noch mehr zwischen den Extremen zu pendeln scheint. Und zu torkeln. Sie gehört Shaun Ryder und seine Band heißt: Happy Mondays. Happy ist die Antwort auf das blue des Blues, Happy Mondays die 24 Hour Party People-Rave-Antwort auf den öden Montag des Zwangsfordismus.
Aber: ist der Blue Monday nicht verwandt mit dem deutschen Blauen Montag? Den Text von „Blue Monday“ befragt man dazu besser nicht, der laviert sich durch die Metaphernlandschaft und umgeht jede Fixierung. Weiter hilft Edward P.Thompson. Der englische Sozialhistoriker hat das maßgebliche Buch zu „Blue Monday“ geschrieben.
Als Edward P.Thompson seinen Essay über Zeit und Arbeitsdisziplin im
Industriekapitalismus schreibt, kennt er weder „Blue Monday“ noch die Happy Mondays – allenfalls „Monday Monday“ von den Mamas & Papas. Aber er hätte sicher seinen Spaß gehabt an diesen Pop-Montagen, spielt doch der Blaue Montag eine wesentliche Rolle in seiner Untersuchung. Die stammt aus dem Jahr 1967, man kannte weder Farbfernsehen noch Privatradio, kein Internet und keine Uhren mit Digitalanzeige, lauter Erfindungen also, die unseren Umgang mit der Zeit – oder den Umgang der Zeit mit uns – nachhaltig verändern sollten. Thompson erzählt von Madagaskar. Dort wurde die Zeit mit „einem Reiskochen“ gemessen – etwa eine halbe Stunde. Oder mit „dem Braten einer Heuschrecke“ – ein Augenblick. Im Oxford English Dictionary findet Thompson die Pater Noster While als Zeitmaß, also die Dauer eines Vater Unsers. Die Pissing While hält er dagegen für „eine etwas willkürliche Maßeinheit“. Das leuchtet ein, eine Blase ist kein Schweizer Uhrwerk. „Blue Monday“ dauert 7.29 Minuten. Seit 25 Jahren.

"Blauer Montag - über Zeit und Arbeitsdisziplin" von John Holloway und Edward P.Thompson. Nautilus Verlag


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Playlist

1.  The Times / Lundi bleu
Lundi bleu / Creation
2.  The Times / Lundi bleu (The Grid `Praise The Lord Mix´)
Lundi bleu / Creation
3.  Wombats / Let’s Dance To Joy Division
Let’s Dance To Joy Division / 14th Floor
4.  Dexy´s Midnight Runners / There, There my dear
Best Of / EMI
5.  Joy Division / Heart and soul
Closer / Factory
6.  Joy Division / Twenty Four Hours
Closer / Factory
7.  Donna Summer / Our love
I feel love / Karussell
8.  Klein & MBO / Dirty talk
Made in Italy / Eurostar
9.  Kraftwerk / Uranium
Radioactivity / Capitol
10.  Sylvester / Mighty real (Ultimix)
Glad to be gay / SPV
11.  New Order / The Beach
Blue Monday / Factory
12.  New Order / Blue Monday
Blue Monday / Factory
13.  The Times / Lundi bleu (German vocal Edit)
Lundi bleu / Creation
14.  Happy Mondays / 24 hour party people
Greatest Hits / London