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Was ist Musik Mixtapes

ByteFM: Was ist Musik vom 21.10.2012

Ausgabe vom 21.10.2012: Mixtapes

Wenn die andern mixen

Die letzte Sendung drehte sich um das Thema Würdigen, Tribut zollen, Respekt bekunden. Eine Möglichkeit, das zu tun: das Mixtape als Spirale der Erinnerung, als intrinsische Gabe (mehr dazu unten, ein Text aus der Frankfurter Rundschau aus dem Jahr 2003, Adornos 100. Geburtstag).

Zuletzt haben vier sehr unterschiedliche Acts Mixalben veröffentlicht: 2 Bears, Hercules & Love Affair, How To Dress Well und Foals. Gemeinsam ist allen ein Faible für zu Disco im weitesten Sinne, also das Kontinuum von Philadelphia International zu Acieed International.

Tom Krell, der wenig virile Mann hinter How To Dress Well synchronisiert erfolgreich seine innere Mariah Carey, wie das Uncut Magazin treffend beobachtet, der ebenfalls wenig virile (im klassischen Sinn) Mann hinter The Weeknd bewirbt sich mit seinem hybriden R&B als der nächste Frank Ocean…alles späte Kinder von Prince? If I was your girlfriend would you let me kiss you?

Starring: Debruit, Asphodells, Fun Boy Three, Harold Melvin & The Blue Notes, Cloud 9, Mark Imperial, Steve Reich, Destiny´s Child, Condry Ziqubu, Nicolas Jaar, Clark, Teengirl Fantasy, Ashley Beedle u.a.

Spirale der Erinnerung

Wie alles in diesem Jahr kann man auch das Mixtape mit Adorno erklären.

Wenn der umtriebige Philosoph eine neue Liebesaffäre auf den Weg bringen wollte, dann ging er in den Laden der Frankfurter Buchhändlerin Melusine Huß und verlangte Wilhelm Hauff. ”Das kalte Herz”, Reclam-Ausgabe, hübsch eingepackt. Adorno war also kein Mixtape-Typ. Jeder neuen Geliebten schenkte er das gleiche Buch. Der Mixtape-Typ schenkt jeder neuen Geliebten eine Kassette, aber niemals die gleiche. Das gehört sich nicht. Die eigenhändig zusammengestellte Mischkassette fällt nämlich unter die Kategorie der intrinsisch motivierten Geschenke. Solche ”von innen kommenden Handlungen aus eigenem Antrieb” unterscheidet der französische Soziologe Marcel Mauss in seiner Schrift ”Die Gabe” scharf von der strategischen Handlung, die darauf abzielt, sich vorteilhafte Handlungsoptionen zu erschliessen. So gesehen war Adorno ein strategischer Schenker. Auch kann man sich schwer vorstellen, wie er vor seinem Plattenregal steht, die schönsten Schönbergs, die melancholischsten Mahlers und bestechendsten Beethovens raussucht, Stück für Stück in wohlkalkulierter Abfolge auf eine C 90 bannt und während des Überspielens die aus Illustriertenfotos selbstgebastelte Hülle handbeschriftet. Was hätte seine Frau Gretel dazu gesagt? Nein, Adorno war viel zu sehr Autor um Mixtaper zu sein.

Einen Gegenentwurf zur auktorialen Autorität stellt der collagierende Produzent französischer Provenienz dar. Claude Levi-Strauss zum Beispiel verdanken wir den begrifflichen Schlüssel zum Mixtape: Bricolage! Das Wort darf nicht fehlen, wenn über Kassettenproduktionen nachgedacht wird. Auch nicht im Begleitband zur Ausstellung ”Kassettengeschichten – von Menschen und ihren Mixtapes”, herausgegeben von Gerrit Herlyn und Thomas Overdick. Darin wird die Zusammenstellung einer Mischkassette als Bricolage bezeichnet, was mit dem deutschen Wort ”Bastelei” nur unzulänglich übersetzt ist. Die Bricolage spricht ”mittels der Dinge: indem sie durch die Auswahl, die sie zwischen begrenzten Möglichkeiten trifft, über den Charakter und das Leben ihres Urhebers Aussagen macht. Der Bastler legt immer etwas von sich hinein.” Wie gut oder schlecht nun ein Mixtape als Medium einer sich anbahnenden, zu vertiefenden oder gar zu reaktivierenden Liebesgeschichte funktioniert, das hängt maßgeblich davon ab, wie viel und vor allem was von sich der Bastler in seine Bricolage hineinlegt. Da lauern Fallen. Häufig lässt der Produzent dem detailversessenen Sammler und Fakten-Nerd in sich zu viel Raum. Der will dann den Beweis antreten, dass man mit einem Tape, das ausschließlich aus Songs besteht, die in ungeraden Monaten des Jahres 1967 auf Motown-Single-B-Seiten erschienen sind, das Objekt seiner Leidenschaft entflammen kann. Oder er überfordert seine musikalisch empfängliche, musikjournalistisch aber nur mäßig interessierte Geliebte mit einem eigens angefertigten Beiheft aus fotokopierten Artikeln über die auf der Kassette vertretenen Künstler und ist beleidigt, wenn er feststellt, dass die Beschenkte nach drei Tagen zwar schon mehrfach das Tape gehört hat, aber immer noch nicht die Aufsätze über Scritti Politti und Mille Plateaux gelesen hat. Dass man nicht mit der Tür ins Haus fallen sollte und gleich auf dem ersten Tape die waidwundesten, steinerweichendsten Liebeslieder von Al Green abfeuern, das versteht sich von selbst. Schon gar nicht ”Let´s stay together” am Anfang. Oder am Ende.

Zen, oder die Kunst, ein Mixtape herzustellen. Darüber haben viele Autoren meditiert und meistens waren es Männer. Männer wie Nick Hornby, Christian Gasser oder Benjamin von Stuckrad-Barre haben sich mehr oder weniger eitel den Kopf zerbrochen, inzwischen existiert eine fast schon kanonische Mixtape-Etikette. Wie früher in der Tanzstunde regelt ein Ensemble aus Benimmregeln und Verboten den Verkehr der Geschlechter. Die Konvention der intrinsischen Gabe Mixtape sieht eine heterosexuelle Beziehung traditioneller Prägung vor: der Mann als gebender Bricoleur, die Frau als umworbene Empfängerin. ”Dass eher Männer Tapes für Frauen aufnehmen ist ein Vorurteil”, wendet der Tapeforscher Gerritt Herlyn ein, um dann doch die ”vorsichtige Tendenz” zu bestätigen, ”dass der Versuch, jemandem durch die Texte und die Musik anderer die Liebe zu gestehen, eher ein männliches Phänomen ist.” Von diesem Phänomen spricht auch die Protagonistin in Karen Duves Roman ”Dies ist kein Liebeslied”: ”Wenn du dir von einem Mann eine Kassette aufnehmen lässt, erfährst du mehr über ihn, als wenn du mit ihm schläfst.” Und wenn du noch nicht hast, erfährst du vielleicht, ob du mit ihm schlafen willst.

Das romantische Motiv von der Mischkassette als Visitenkarte der Seele (und der Plattensammlung) ist offenbar resistent gegen technische Innovation. In einer Kontaktanzeige unter der Rubrik ”W sucht M” verspricht ”W”: ”In den Plattenladen gehe ich nicht mit dir, aber deine Mixtapes höre ich mir gerne an.” Würde sie je schreiben: ”...deine selbstgebrannten CD´s höre ich mir gerne an.” Nein.

Warum nicht? Worin besteht der Zauber des Mixtapes? Zunächst mal ist es ein ziemlich widersprüchliches Ding. Im Rohzustand ein Speichermedium aus dem Zeitalter der technischen, analogen Reproduzierbarkeit dient es doch zur Herstellung von Unikaten mit der Aura maximaler Distinktion. Oder haben jemals zwei verschiedene Menschen auf dieser Welt ein identisches Mixtape kompiliert? Mit dem gleichen selbstgebastelten Cover?

Wie das Knistern der gebrauchten Schallplatte, so wärmt das Leiern der Kassette unser Herz, komisch genug. Sie schenkt uns wohlige Schauer der Angstlust: ”Man spielt sie mit dem gleichen unguten Gefühl ab, mit der man in der Original Gutenberg-Bibel blättern würde, um ein paar Verse nachzuschlagen.” So Armin Müller über die raren Tapes der Cleaners From Venus in seiner Bandbiografie ”Ein Junge aus den Home Counties” (Jarmusic Verlag). Im Unterschied zur CD, die ihren Geist nach undurchschaubaren Regeln aufgibt, folgt der Verfall der Kassette einer nachvollziehbaren Verschleißlogik und produziert ein anmutig-rührendes Bild der finalen Katastrophe: Bandsalat.

Dass ausgerechnet Clem Snide für den Tod des Mixtapes eine schöne Zeile gefunden haben, ist sicher kein Zufall. Wie die Cleaners From Venus ist Clem Snide eine typische Mixtape-Band, von der man sich selten ein ganzes Album anhört, obwohl doch ein Clem Snide-Song jedem Mixtape zur Zierde gereicht: ”The joke is that the stereo ate the mixtape that you made alive.” (Clem Snide, 1989)

Zudem speichert das Unikat Mixtape Subtexte der Erinnerung, bei Produzenten wie bei Empfängern. Immer wieder ist in den ”Kassettengeschichten” von den Situationen die Rede, in denen ein bestimmtes ”Lied” aufgenommen oder gehört wurde. Tatsächlich benutzen die meisten Befragten das Wort ”Lied”, nicht etwa Song oder Track. Wortlose, rein instrumentale Musik spielt in der Sozioökonomie des Mixtapes offenbar keine große Rolle, erst das ”Lied” mit seinen Textqualitäten stiftet den narrativen Charakter. Eine weitere Erinnerungsschublade öffnet sich, wenn das Radio ins Spiel kommt. Die im Rückblick mit dem Charme des Scheiterns verklärten Versuche, ein Stück Musik aus dem Radio ohne die Stimme des Moderators zu konservieren, haben damals alle zur Verzweiflung gebracht. Schnell und präzise, idealerweise genau in jener Nanosekunde zwischen dem Ende der Moderation und dem Anfang der Musik mußte eine im Vergleich zum Mausklick recht komplexe Operation durchgeführt werden. Das Spreizen von Mittel- und Zeigefinger zum gleichzeitigen Drücken der rätselhafterweise meist weit auseinanderliegenden ”Play” und ”Rec”-Tasten kommt im restlichen Leben nicht vor, es sei denn, man macht das Victory-Zeichen oder versucht, gleichzeitig in beiden Nasenlöchern zu bohren. Mithin hat schon die Herstellung eines Mixtapes etwas Unikathaftes. Der Mausklick dagegen ist immer der selbe, ganz egal, was er verursacht.

Zum Ritual jeder Hitparade gehörten empörte Hörerbriefe mit der Forderung, die Lieder bis zum letzten Ton auszuspielen ohne drüberzuquatschen. Manche Moderatoren nutzten das, um mit den Hörern zu fraternisieren: ”Das nächste Stück in voller Länge für unsere Tonbandamateure!” Die augenzwinkernde Lizenz zum Mitschnitt im rechtsfreien Raum nahm bereits die juristischen Konflikte der Gegenwart um Tauschbörsen und Copyrights vorweg und die Kassette hatte ihren subversiven Ruf weg. Im Vergleich mit dem Konkurrenzmedium Schallplatte hatte sie entscheidende Vorzüge: kleiner, schneller, mobil, flexibel, recyclebar. Mit der Kassette kam die Musik in Bewegung, individuell im Walkman, für die Massen im Ghettoblaster. Der Portable mit den Boomboxen fungierte als Geburtshelfer der HipHop-Kultur, er trug die Mixtapes der DJ´s buchstäblich auf die Straße, ermöglichte spontane Blockparties wie rasches Verschwinden beim Eintreffen der Polizei. Ein HipHop-Werkzeug, handlich wie die Spraydose, praktisch wie die Baseball-Cap. Wie Jahrzehnte später digitale Technologien konnte auch das Werkzeug Kassette nicht ganz im Sinne des Erfinders als

Instrument der illegalen Aneignung benutzt werden. Heute haben wir fast vergessen, dass die Popkulturindustrie der alltäglichen Piraterie schon damals mit martialischen Kampagnen begegnete. Einen Totenkopf klebten sie auf Plattenhüllen, darunter die Parole ”Hometaping is killing Music!”. Ob die Trauerrandbotschaften auf Zigarettenschachteln von den selben Kreativen erfunden wurden, ist nicht bekannt. Die Musik aber, das wissen wir, hat überlebt, auch weil es einer Band mit situationistischen Vorkenntnissen und dem Namen Kiwisex gelungen ist, die Todesdrohung mit einem überzeugenden Slogan zu kontern. ”Homefucking is killing prostitution.” (Frankfurter Rundschau aus dem Jahr 2003)

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Playlist

1.  The 2 Bears / Bears Intro
2 Bears 1 Love / ITH
2.  Debruit / 149 Dalston Airline
2 Bears 1 Love / ITH
3.  Toddla T. Ft. Timberlee / Body Good
2 Bears 1 Love / ITH
4.  The Asphodells / The Lonely City
2 Bears 1 Love / ITH
5.  Fun Boy Three / Faith, Hope And Charity
2 Bears 1 Love / ITH
6.  Heartbreak / Blaze Up
2 Bears 1 Love / ITH
7.  Arttu / Peace Will Follow
2 Bears 1 Love / ITH
8.  The 2 Bears / Work (Saint Etienne Remix)
Be Strong / ECB
9.  Hercules & Love Affair / My House
Blue Songs / Moshi Moshi
10.  DJ Duke Presents Freedom / Love Don’t Come Easy (Power Dub)
Hercules & Love Affair DJ Kicks / !K7
11.  Cloud 9 / Do You Want Me
Hercules & Love Affair DJ Kicks / !K7
12.  Mark Imperial / The Acieed That Ate New York
Hercules & Love Affair DJ Kicks / !K7
13.  Harold Melvin & The Blue Notes / Be For Real (Tim Mcallister Re-Edit)
Philadelphia International: The Re-Edits / Harmless
14.  How To Dress Well / Ecstasy (Ft. Jojo)
Ecstasy / Weird World
15.  Chief Keef / Kaykay (Please Save Chicago Edit)
How To Dress Well Fact Mix 347 / Fact
16.  Steve Reich / William Basinski / Clapping Song / Garden Of Brokennnes
How To Dress Well Fact Mix 347 / Fact
17.  How To Dress Well / So Long As We Are Together I Can Hold My Contempt For Existence At Bay
How To Dress Well Fact Mix 347 / Fact
18.  Why Are We Here? Here? Why? / Silence
How To Dress Well Fact Mix 347 / Fact
19.  How To Dress Well / Running Back
Total Loss / Weird World
20.  How To Dress Well / & It Was U
Total Loss / Weird World
21.  The Weeknd / Wicked Games
Wicked Games / Columbia
22.  Destiny’s Child / Say My Name
Say My Name / Columbia
23.  Foals / Spanish Sahara (Mount Kimbie Remix)
Spanish Sahara / Domino
24.  Nicolas Jaar / Variations
Tapes! / !K7
25.  Clark / Ted (Bibio Remix)
Tapes! / !K7
26.  Dorian Concept / Tropical Hands
Tapes! / !K7
27.  Condry Ziqubu / Confusion (Ma Afrika)
Tapes! / !K7
27.  Teengirl Fantasy / Cheaters (John Talabot's Classic Vocal Refix)
Tapes! / !K7
28.  Teengirl Fantasy / Do It /Ft. Romanthony
Tracer / R&S Records
29.  Ashley Beedle / Run The Track
2 Bears 1 Love / ITH
  Black Devil Disco Club / To Ardent (Ft. Nancy Sinatra, Horsemeat Disco Remix)
2 Bears 1 Love / ITH