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Was ist Musik Thema ModsWas ist Dexy Music

ByteFM: Was ist Musik vom 10.04.2011

Ausgabe vom 10.04.2011: Thema ModsWas ist Dexy Music

Was ist Dexy Music

Dexy klingt nach sexy, also irgendwie sexyer als Dexedrin. Dexedrin ist ein Medikament, das in Mod-Kreisen in den Sechzigern recht populär ist. Dexedrin beschleunigt, hält wach und schärft Sinne. Als Punk gegen Ende der 70er seine beschleunigende, wachhaltende und sinnenschärfende Kraft allmählich einbüßt, besinnt sich Kevin Rowland auf die Dexedrin-Geschichte. Mit seiner Band The Killjoys ist er nicht weit gekommen, der Schockeffekt des Bandnamens hat sich schneller verbraucht, als man Dexy sagen kann. Also besinnt sich gründet der Sohn irischer Einwanderer auf seine Jugendliebe zum Soul, gründet Dexy´s Midnight Runners, und landet mit einer Hommag auf den Soul-Shouter Geno Washington einen ersten Nummer Eins-Hit.

Das Album „Searching for the young soul rebels“ folgt, darauf eine Hitsingle (!) mit der denkwürdigen Zeile: The only way to change things is to shoot men who arrange things! Musik von aufgeklärten (Post-)Mods für modaffine Soul Rebels?


Der Text zur Sendung

DEXY MUSIC
Erkenntnisschock des Wiederhörens: War der Young Soul Rebel ein schwuler Friseur?

Komische Dinge passieren beim Wiederhören. Die englische Sprache stellt für den Vorgang das schöne Wort revisited zur Verfügung. Heute wieder besucht: Dexy´s Midnight Runners. Die Erinnerung: Soulmusik von einer überwältigenden Wucht, wie sie heterosexuelle Männer mit heller Haut fast nie hinbekommen. Das Wiederhören: Die selbe Faszination, aber ein anderes Objekt! War der Young Soul Rebel ein schwuler Friseur? Dexy´s Midnight Runners, eine queer Band avant la lettre? Doch, es ist wahr, was ich damals, 1982, nicht erkennen konnte (oder wollte): eine der grandiosesten Bands, die jemals über diesen Planeten spazierte, war queer, Jahrzehnte vor der Aufnahme des Begriffes queer in die Lehrpläne deutscher Universitäten. Den Anlass zum späten Erkenntnisschock gibt ein Best Of-Album mit zwei neuen Songs, die die Queer-These untermauern.
18 Jahre sind vergangen, eine ganze Jugend, seit dem letzten Album ”Don´t stand me down”. Die beiden Vorgänger-LPs hatten Welthits abgeworfen: ”Geno”, eine kraftvolle Hommage an den Soulsänger Geno Washington. ”Come on Eileen”, ein Fiddle-Stomper, der bis heute im Popradio läuft, woraus schnöselige Connaisseure das Recht ableiten, die Band als Guiness-affine Gute-Laune-Combo abzutun. Dabei würdigt ”Eileen” schon in der ersten Zeile die Fähigkeit des Schlagersängers Johnny Ray, Millionen von Herzen in Mono zu bewegen, eine schöne Umschreibung der Tatsache, dass Ray nicht bloss die Hausfrauen an den Transistor-Radios zum Heulen brachte, sondern auch sich selbst in Tränen auflösen konnte, sobald er eine Bühne betrat. Geno & Ray, was für Vorbilder!
Nicht weniger als ein Meisterwerk soll es sein, das dritte Album. Komplett mit gesprochenen Dialogen und einem Herzstück von über 12 Minuten. Die Platte floppt so katastrophal wie Michael Ciminos jahrhundertteures Opus Magnum ”Heaven´s gate” im Kino. Wie bei Cimino freuen sich die Claqeure von gestern besonders laut. Wenn einer an zu hohen Ansprüchen scheitert, verwandeln sich Claqueure gern in Schadenfreuer und Auszähler. Der Ausgezählte ist Kevin Rowland, Texter und Sänger mit einer Stimme wie kein Zweiter: exaltiert, over the top, polarisierend.
Bis heute singt diese Stimme davon, wie es ist in den Fünfziger Jahren als Sohn irischer Eltern zwischen den englischen Midlands, Irland und North London aufzuwachsen. Fremder als man denkt. Wie eine Wurst kam der schwarzgelockte Ire Kevin sich vor, wenn seine Schulkameraden ihn als ”mate” ansprachen – er hatte ”meat” verstanden. Das ewige Sichfremdfühlen - im eigenen Land, in der eigenen Sprache, in den eigenen Klamotten, im eigenen Körper - ist eine Konstituante von queerness und gar nicht lustig. Die gängigen Bilder von queerness in Pop dagegen sind Glamour-Bilder des hedonistischen Gendertroubles: Bowie´s Strapse, Enos Federboa, das Karma Chamäleon eines Boy George. Und Rühmanns Charley´s Tante. Von den zur Markt-Schau getragenen sexuellen Ambiguitäten dieser Art sind Kevin Rowland und seine Jungs meilenweit entfernt. Als sie Ende der Siebziger die Londoner Bühne betreten, tun sie dies im ”Mean Streets”-Look, benannt nach dem stilbildenden Gangsterfilm von Martin Scorsese. Dexy´s Midnight Runners im Mean Streets-Look, das sind sieben virile Kerle in engen Lederjackets, die Körper zur Drohkulisse arrangiert, auf den Köpfen Barretts oder Wollmützen, dazu Sporttaschen, über deren Inhalt man lieber nichts wissen will. Ein messerscharfes Image, auf Plakaten gern in blutiges Rot getaucht und sexuell so unzweideutig wie der Ehrenkodex der Mafia. So hatte ich die Dexy-Gang in Erinnerung, bis mich Paul Gormans Linernotes zum Best Of-Album auf verdrängte Tatsachen stiess: Der ”Mean Streets”-Look hatte bei den Dexy´s seinerzeit einen Fantasy-Patchwork-Stil abgelöst, der unter dem Namen New Romantic rückblickend als eines der schlimmsten Modeverbrechen des 20.Jahrhunderts gilt. Kevin Rowland habe den New Romanticism erfunden, ein Jahr bevor alle so rumliefen, meint Dexy´s Keyboarder Pete Saunders. Als dann alle so rumliefen, in lächerlichen Hofnarrenkostümen, mit extravaganten Haarkreationen und androgynem Schnickschnack, optierte Rowland, ein ehemaliger Friseur, für den Gegenentwurf: Gangster-Style! Und ein Albumtitel wie in Stein gemeißelt: Searching for the young soul rebels. Jung! Soul!! Rebellen!!! Schwerste Zeichen aus dem Popfundus hängte sich Kevin um den Hals, um sich – paradox genug - seine queerness vom Hals zu singen. Auf der Suche nach der verlorenen Seele versucht sich der englisch-irische Bastard und Ex-Friseur an der für weiße Bastarde und Ex-Friseure verbotensten Musik: Soul sollte es sein, jene Musikreligion, bei der weiße Europäer notorisch in die Authentizitätsfalle tappen. Nicht so Kevin. Er spielt den Überzeugungstäter und verschmilzt die Schlüsselreize afroamerikanischer Kirchen-&Körper-Musiken mit alteuropäischen Emo-Errungenschaften wie italienische Oper, Oscar Wilde & Brendan Behan sowie englische Fussballchöre zu nie Dagewesenem: Dexy Music. Pünktlich zur zweiten LP ”Too-Rye-Ay”, die letzten Hippies tauschen schnell noch Latzhosen und Schlabberkleider gegen schwarzpinkgestreifte Fiorucci-Röhrenhosen ein, diktiert Rowland seiner Band den Image-Shift von Mean Streets zu Latzhosen und Schlabberkleidern. Der Dresscode-Wechsel geht einher mit dem musikalischen Shift von Bläsern zu Streichern im Namen eines Van Morrison-inspirierten Celtic Soul. Erst viel später sollte ich erkennen, dass in diesen irischen Fiedeln ein utopischer Vorschein der synthetischen Streicherparadiese der Housemusic von Gay Chicago steckt. Erst viel später sollte ich erkennen, dass Kevin Rowlands Performanzen mehr dem dandyesken Bryan Ferry verdanken als dem bräsigen Belfast Cowboy Morrison. Dass Dexy Music verschwistert ist mit Roxy Music.

Bloss nicht festlegen lassen auf eine Identität! Wenn Ihr hier ankommt, bin ich schon wieder weg! Auch auf den neuen Songs pflegt Rowland eine Art Hase & Igel-Queerness, gespeist aus querulantischer Dissidenz gegen herrschende Zeichenordnungen. Die Leiden des irischen Jungen an der Fremde kleidet er in eine überkandidelte Hymne aus Disco-Chören und Philly-Streichern: ”My Life in England”. Dass dieses englische Leben lange von Amphetaminen beschleunigt war, wissen Rowland-Fans. Dexy´s steht für Dexedrin, der dominierende Bass in ”My life in England” kommt direkt aus Grandmaster Flashs einschlägigem Hit: ”White Lines”. Noch weiter treibt er das selbstreferentielle Spiel mit der prekären Identität im zweiten neuen Song. Darin befragt ein hysterischer Männer-Chor Kevins ”Manhood”, seine Männlichkeit, sein Mann-Sein. Der arme Kerl steht da als ”broken man”, zerrissen von Zweifel und Schuld. Und die Musik? Tirilliert und jubiliert, ein Himmel voller Geigen erinnert – ohne Quatsch! – an Blumfeld, es ist kaum zu fassen. Seine Männlichkeit drangegeben hatte Rowland schon vor Jahren. Ein Soloalbum mit Karaoke-Versionen pompöser Pophits der Preisklasse ”The Greatest Love Of All” nennt er in aller Bescheidenheit ”My beauty” und trägt seine Schönheit auf dem Cover zur Schau. Der Mittvierziger zeigt weisses Schenkelfleisch zwischen schwarzen Nylons und ebensolchem Slip, um die Taille rankt sich ein blauviolettes Samtkleid, das den Blick auf eine ebenso unbehaarte wie unmuskulöse Brust freigibt, dazu trägt er Perlenkette, den Mund kirschrot, die Federboa hängt pink am Paravent.
Kübelweise Häme ergoss sich über Kevin in Drag. Die neokonservative Rock-Presse ließ die homophobe Sau raus, wenn Kevin, die Beauty-Queen, auf Festivalbühnen steigt, wird er vom Oasis-Lad-Mob mit Bierdosen bombardiert. Und jetzt erzählt er ihnen was von seiner ”Manhood”. Was für ein Comeback!

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Playlist

1.  Dexy's Midnight Runners / Tell Me When My Light Turns Green
Searching For The Young Soul Rebels / EMI
2.  MFSB Ft. The Three Deegrees / T.S.O.P.
Carlito's Way / Epic
3.  Dexy's Midnight Runners / Burn It Down (Dance Stance)
4.  Dexy's Midnight Runners / …And Yes We Must Remain The Wildhearted Outsiders
Liars A To E / EMI
5.  Dexy's Midnight Runners / There There My Dear
Searching For The Young Soul Rebels / EMI
6.  Dexy's Midnight Runners / Geno
Searching For The Young Soul Rebels / EMI
7.  Geno Washington & The Ram Jam Band / All I Need
Sifters, Shifters, Finger Clicking Mamas / Marble
8.  Chuck Bowens / Seven Days Is Too Long
Seven Days Is Too Long / Casino
9.  Dexy's Midnight Runners / My Life In England
Let's Make This Precious – The Best Of Dexy's Midnight Runners / EMI
10.  Grandmaster Flash & The Furious Five / White Lines
Adventures On The Wheels Of Steel / Sugarhill
11.  Liquid / Cavern
Disco Not Disco / Strut
12.  Dexy's Midnight Runners / Jackie Wilson Said (I'm In Heaven When You Smile)
Let's Make This Precious – The Best Of Dexy's Midnight Runners / EMI
13.  Van Morrison / Jackie Wilson Said (I'm In Heaven When You Smile)
Saint Dominic's Preview / WB
14.  Jackie Wilson / I Get The Sweetest Feeling
I Get The Sweetest Feeling / Brunswick
15.  Dexy's Midnight Runners / Come On Eileen
Too-Rye-Ay / Mercury
16.  Johnny Ray / The Little White Cloud That Cried
Greatest Hits / Columbia
17.  Dexy's Midnight Runners / Manhood
Let's Make This Precious – The Best Of Dexy's Midnight Runners / EMI
18.  Kevin Rowland / Daydream Believer
My Beauty / Creation
19.  Dexy's Midnight Runners / T.S.O.P. – Let's Make This Precious
Jackie Wilson Said (I'm In Heaven When You Smile) / EMI
20.  Dexy's Midnight Runners / The Horse
Searching For The Young Soul Rebels – 30th Anniversary Edition / EMI
21.  Cliff Nobles & Co / The Horse
Philadelphia Roots / Souljazz
22.  Archie Bell & The Drells / Tighten Up
Sweet Soul Music 1968 / Bear Family
23.  Orchestra Harlow / Horsin´ Up
NuYorica Roots / Souljazz
24.  Dexy's Midnight Runners / What She's Like
Don't Stand Me Down / EMI
25.  Dexy's Midnight Runners / Show me
Let's Make This Precious – The Best Of Dexy's Midnight Runners / EMI