Odd Future: The Kids Are Alright (Feature)

Von Simon Strehlau, 13. Juni 2019

Collage von KünstlerInnen, die zum Kollektiv Odd Future gehören oder gehörten

Odd Future

Odd Future Wolf Gang Kill Them All – schon der Titel der Crew aus Los Angeles war gewollte Provokation. Unter diesem Namen gründete der Rapper Tyler, The Creator eine HipHop-Gruppe, zu der sich zweitweise 60 Mitglieder zählten. Odd Future brachten gleichzeitig große Qualität und stillten den Hunger des digitalen Zeitalters nach ständigen Veränderungen. So wurde die Gang zum Lehrstück einer Internet-Erfolgsgeschichte. Kontroverse Musik, pubertäre Comedy, retro-moderne Fashion – der Name Odd Future steht heute für eine afrokulturelle DIY-Attitüde.

2015 hat sich Odd Future vorerst aufgelöst, doch wofür steht die Gruppe eigentlich und was machen die Mitglieder heute?

Gehyped, gehasst, gewachsen

2007 wurde Odd Future unter anderem vom kreativen Mastermind Tyler Okonma alias Tyler, The Creator als loses Künstlerkollektiv mit zahlreichen Splitterprojekten gegründet. Durch ständige Verletzung des guten Geschmacks katapultierte sich Odd Future ins Hype-Schaufenster einer alternativen HipHop-Szene. Die Rap-Fraktion aus Tyler, Earl Sweatshirt, Domo Genesis, Mike G und Hodgy (MellowHype) probierte sich an unkonventionellen Flows und überspielte fehlende Erfahrung durch vulgäre Lyrics mit Schock-Effekt.

Das Video zum Posse-Epos „Oldie“ fängt eine junge Crew ein, die um die beste Punchline eifert, orchestriert von Tyler, The Creator, der schon damals die größere Vision im Blick zu haben schien. Für Odd Future war keine Zeile zu verstörend, Tabus vor allem zum Brechen da und der visuelle Output beeindruckend absurd. Tyler Okonma alias Tyler, The Creator machte sich als erster einen Namen als Solokünstler. Schon 2013 veredelte sein musikalisches Vorbild Pharrell Williams sein bipolares Beziehungsdrama „IFHY“ (was für „I Fuckin‘ Hate You“ steht).

Odd Future – queer und homophob?

Die obszönen Exzesse brachten Odd Future schnell das Image einer jugendgefährdenden Schmutzband ein. Neuseeland und Großbritannien reagierten mit Einreiseverboten auf Vorwürfe der Gewaltverherrlichung und Homophobie. Letzteres ist rückblickend ein faszinierender Twist, denn es gibt bis heute im HipHop kaum kein anderes Kollektiv, dessen Mitglieder sich so offen zur Homosexualität bekennen. Tyler öffnete 2017 die Gartenlaube seiner Sexualität: „Garden Shed / That is where I was hidin‘ / That was real love I was in / Ain’t no reason to pretend“ („Garden Shed“). Steve Lacy, Gitarrist bei The Internet, ist bisexuell und Syd (früher: Syd Tha Kid, die sich später mit The Internet selbstständig machte, lesbisch.

Frank Ocean wurde ein Jahr später für den offenen Brief im Fahrwasser seines Albums „Channel Orange“ gefeiert, weil es noch immer eine Sensation ist, wenn ein R&B-Sänger über seine Homosexualität spricht. Oceans Coming-out erzeugte eine beinahe mystische Resonanz auf die intimen Songs seines Studio-Debüts. Der Nachfolger „Blonde“ (2016) etablierte Frank Ocean endgültig als Star einer progressiven Popkultur.

„Golf be the set, no more OF“ (Tyler, The Creator 2018 in „Okra“)

Langsam emanzipierte sich die Gruppe vom spätpubertären Rucksack und die Mitglieder gingen ab 2015 vermehrt getrennte Wege. Hodgy und Domo Genesis brachten 2016 jeweils ihr Solo-Debüt und leben seither im Rap-Untergrund zwischen Streetfighter-Nostalgie und düsteren Trips. Domo Genesis kann ein Kollabo-Album („No Idols“) mit Producer-Legende Alchemist vorweisen. Mit „Dapper“ landete er einen kleinen Hit.

Thebe Kgositsile alias Earl Sweatshirt macht das Image, das er sich als Teenager mit misogynen Battle-Raps aufgebaut hat, noch immer zu schaffen, wie er Pitchfork in einem seltenen Interview verriet. Wohlwissend, dass sein heute von ihm ungeliebtes Pseudonym Fluch und Segen zugleich ist, nutzt Kgositsile die Auseinandersetzung mit sich selbst, um seinen Teil zur afro-amerikanischen Erzählung beizutragen. Sein letztes Album „Some Rap Songs“ (2018) fasziniert durch seine unkonventionelle, aber einnehmende Machart.

The Internet waren 2015 mit ihrem Album „Ego Death“ für einen Grammy nominiert. Die aktuellen Solo-Projekte der Bandmitglieder Matt Martians („The Last Party“) und Steve Lacy („Apollo XXI“) treffen den Retro-Nerv zwischen Jazz-Fusion und 80’s Funkpop. Das letzte Bandalbum „Hive Mind“ von 2018, zu Deutsch: Schwarmintelligenz, ist ein leichtes Love-Album im Geiste von Chaka Khan und Nile Rodgers.

Einige der Odd Future entwachsenen Projekte haben Genre-Trennlinien verwischt und kreative Barrieren weit aufgerissen. Wirklich „odd“, im Sinne von eigentümlich, ist die Symbiose aus traurig-jazzigen Akkorden, verspielten Funk-Melodien und erdrückender Schwere. Aus der Musik strömt das Verlangen nach Zuneigung und Trost, die Angst vor emotionaler Leere in überfüllten Metropolen, der Isolation in ständiger Vernetztheit. Den ehemaligen Mitglieder der OFWGKTA-Crew gelingt dies mit dunklem Emo-Rap (Earl Sweatshirt), catchy Neo-R&B (The Internet) oder psychedelischem Future-Soul (Frank Ocean, The Jet Age of Tomorrow). Die Evolution dieser Musik hat im aktuellen Album von Tyler, The Creator, „Igor“, seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden.

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