Ja, Panik – „Don’t Play With The Rich Kids“ (Rezension)

Von Jan Boller, 5. Februar 2024

Cover des Albums „Don’t Play With The Rich Kids“ von Ja, Panik

Ja, Panik – „Don’t Play With The Rich Kids“ (Bureau B)

9,0

„Libertatia“ aus dem Jahr 2014 war der utopisch angelegte Pop-Entwurf mit Soul, Funk und Blues der einstigen Indie-Rock-Gruppe Ja, Panik. Eine Utopie, die einem Pamphlet folgte: „DMD KIU LIDT“. Der 14-minütige Abschlusstrack des gleichnamigen Albums war ein Statement gegen die Vereinsamung des Menschen im Kapitalismus: Nur raus hier, und wenn man sich dafür einschließen muss.

Libertatia“ dagegen ließ sich damals sogar mit einer der Platte beigelegten Schablone in die WG-Küche sprayen. Sollte heißen: Libertatia kann überall sein. Alle Türen waren offen, drinnen war draußen. Ja, Panik galten als wichtigste deutschsprachige Band überhaupt (so stand es damals nicht nur in österreichischen Zeitungen), die Musik machte, die sich in Form und Inhalt weit außerhalb des popkulturellen Radars in ihrer eigenen Umlaufbahn bewegte. Ein solcher Status ist auch ein gewaltiger Druckkompressor. Sieben Jahre hat es danach gedauert, bis Stefan Pabst, Sebastian Janata, Laura Landergott und Andreas Spechtl mit „Die Gruppe“ (2021) den Nachfolger veröffentlicht haben. Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns fügte sich prima ein in das Wechselspiel von Drinnen und Draußen. Was in dem Fall auch eines zwischen Schlafen und Wachsein war.

Lektion in Klassenbewusstsein

Keine Frage: Die vergangenen zehn Jahre haben gesellschaftlich wie weltpolitisch eine Menge Zukunftsträume kaputtgemacht. Was folgt, sind Bestandsaufnahme und Retrospektive. „Lost“ beginnt fast scheu mit Akustikgitarre, aber das ist nur ein Trick. Mit dem Rückgriff auf die Vergangenheit verhandelt „Don’t Play With The Rich Kids“ erneut ein Kompendium an Andreas-Spechtl-Themen. Zuerst heißt es: „Ja, Panik topfit“ – und der Rock-Ausbruch dazu klingt fast wie Liquido. Direkt danach ist „Mama Made This Boy“ die Antwort auf die Frage nach dem Albumtitel: „Don’t Play With The Rich Kids“ ist die Umkehrung von Franz Josef Degenhardts Lied von den Schmuddelkindern und wurde dem jungen Spechtl von der Mutter eingetrichtert. Eine Lektion in Klassenbewusstsein, die Band und Texter bis heute beherzigen und ein Garage-Rock-Schmankerl mit sich überholenden Gitarren und trockenem Fuzz. Die 90er waren zum Recyclen da.

„Kung Fu Fighter“ handelt vom Suchen und Finden. Lieber Suchen als Finden. Und es huldigt der Schönheit des Scheiterns: kämpfen, hinfallen, weitermachen. Das ist schablonenhaft und trotzdem schön. Ja, Panik, diese Virtuosen des Ambivalenten, bringen weiterhin Widersprüchliches in Zusammenhang. Da ist „Dream 12059“, eine Lärm-Orgie aus Shoegaze mit brutaler Verletzlichkeit: „Ich wach eh auf in der Hölle. Sag wovor soll ich mich fürchten?“ Kristof Schreuf sang einst „Man kann noch schwächer werden“ – eine Zeile mit merkwürdiger Intonation, so als wollte er das unbedingt, schwächer werden. Noch besser, noch schwächer. „Dicht am Krach“ war Schreuf damals, aber waren der Rausch und der Exzess früher stete Begleiter der Gruppe Ja, Panik, sind sie heute „ohne Droga“, weil: „Körper sagt ‚nein‘.“

Entspannung oder Sauerstoffmangel

„Hey Reina“ lässt die Feedback-Schlaufen von „Dream 12059“ in ein juveniles Stück und eines von mehreren auf dem Album enthaltenen Blur-Zitaten münden. Sowieso ist „Don’t Play With The Rich Kids” gespickt mit Reminiszenzen: Leonard Cohen, Placebo, Matrix, David Bowie, Primal Scream, My Bloody Valentine, Brad Pitt. Spurenelemente der eigenen Jugend. Wie Shoegaze sich aus der Psychedelia der 1970er ableiten lässt, waren die 90er ein post-politisches Derivat der 70er nach dem Ende der Geschichte. Beiden Zeitabschnitten gemein waren die Gesten der Ekstase, einmal voll mit Inhalt und einmal als Surrogat.

Die zweite und bessere Hälfte des Albums entspannt sich zusehends oder leidet einfach an Sauerstoffmangel. Da ist „Teuferl“, eine Ballade wie ein umgekippter Badesee. „Changes“ meint verhalten: „Ich glaub schon, dass man uns ändern kann.“ Fragt sich natürlich, wer das sein soll. Man begreift, dass sich Ja, Panik der „Pop-Denkfabrik“ Blur nicht nur musikalisch, sondern auch verfahrenstechnisch annähern wollen. Ein Ausweg, der kein schlechter ist, weil kontemplative Pop-Songs wie „Fascism Is Invisible (Why Not You)” trotz Slime-Zitat „Legal-Illegal-Scheißegal“ zwar kaum auf Bambule aus sind, den Kopf aber wieder Richtung Sonne gewendet haben. Auch „Every Sun That Shines“ ist wie die Peaking-Lights-Vorlage „All The Sun That Shines“ von 2011 ein schwer verortbares Stück Utopie mit den Mitteln der Vergangenheit: „Dein Gestern ist so tot. Dein Morgen ist so groß.“

Landschaftsmusik

Am Ende ist jedes Leben ein Roadmovie. Andreas Spechtl fuhr im Süden Südamerikas „der Liebe wegen“ durch die Einöde und fand es gar nicht öde. Festgefrorene Zeit, life in loops. „Ganz unten“ liegt Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, von wo aus Schiffe nach Antarktika fahren, der exklusiven Destination für heutige Wohlstandskinder. Mit „Ushuaia“ führen Ja, Panik „Don‘t Play With The Rich Kids“ doch noch an seinen ekstatischen Höhepunkt und Spechtl fliegt wie Thelma und Louise über die Kante. Ausgerechnet Ridley Scott hatte mit einer queeren Variation dem ultramännlich konnotierten Roadmovie seine schönste Entsprechung geschenkt. „Ushuaia“ nimmt die musikalische Signatur des Films, das Main Theme „Thunderbird“ von Hans Zimmer und das eher zahme Gitarrensolo Pete Haycocks auf und lässt es rockig verwildern. Der Rest ist Landschaftsmusik und ganz weit draußen.

Veröffentlichung: 2. Februar 2024
Label: Bureau B

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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