Melancholie und Alltag: Damon Albarn in acht Songs

Damon Albarn wird 50

Meister der Melancholie: Damon Albarn wird 50 Jahre alt (Foto: Linda Brown Lee)

Ob bei Blur, Gorillaz, Rocket Juice & The Moon, The Good, The Bad &The Queen, als Gast-Sänger bei Vince Staples oder als Solokünstler – Damon Albarn ist eine der umtriebigsten Persönlichkeiten der Pop-Musik. Was all seine vielseitigen Projekte eint: seine abenteuerlustigen Genre-Experimente und sein feines Gespür für zarte Melancholie. Am 23. März 2018 wird der britische Künstler 50 Jahre alt – wir wagen den Versuch, seine drei Dekaden umspannende Karriere in acht Songs zusammenzufassen.

Der Brite: „This Is A Low“ (1994)

„And into the sea / Goes pretty England and me“ – ein Tief zieht über London, und Damon Albarn verwandelt mal eben eine Wettervorhersage in zutiefst berührenden Pop. Es ist das Jahr 1995, Blur veröffentlichen ihr drittes Album „Parklife“. Es war der Moment, in dem das Quartett zeigte, dass es mehr war als nur eine kurzlebige Brit-Pop-Sensation. „This Is A Low“ beendet das Album mit der ätherischen Melancholie, die später zu Albarns Markenzeichen werden sollte.

Der Kosmopolit: „Sunset Coming On“ (2002)

Kurz nach der Jahrtausendwende besuchte Albarn zum ersten Mal Mali. Die lokale Musikszene beeindruckte ihn so sehr, dass er an Ort und Stelle gemeinsam mit dem Kora-Spieler Toumani Diabaté und dem Gitarristen Afel Bocoum das Album „Mali Music“ aufnahm. Songs wie „Sunset Coming On“ fusionieren westafrikanische Harmonien und Rhythmik mit Albarns Gespür für Melodien. Ein faszinierender interkontinentaler Austausch, den Albarn bis heute regelmäßig sucht.

Der Aus-der-Zeit-Gefallene: „Out Of Time“ (2003)

Auf den Vorgänger-Alben „Blur“ und „13“ flirtete Albarn schon mit Lo-Fi und Gospel, doch erst auf dem 2003 veröffentlichten „Think Tank“ zeigten Blur ihr ganzes kreatives Potential – speziell in der ungewöhnlichen, zarten Single „Out Of Time“: Statt bräsiger E-Gitarren geben minimalistische Drumbeats und orientalisch angehauchte Akustikgitarren den Ton an, zur Mitte erstrahlt plötzlich ein marokkanisches Orchester. Darüber singt Albarn ein paar der schönsten Zeilen seiner Karriere: „And you‘ve been so busy lately that you haven‘t found the time / To upen up your mind / And watch the world spinning / Gently out of time.“

Der Bezwinger der Genres: „Dirty Harry“ (2005)

In dem britischen Comiczeichner Jamie Hewlett fand Albarn einen Mitstreiter, mit dem er sowohl seine intermedialen Crossover-Ideen als auch seine HipHop-Affinität ausleben konnte. Während Blur in der ersten Hälfte der Nullerjahre langsam zerfielen, schufen die beiden ihr Projekt Gorillaz. Hewlett designte die vier virtuellen Bandmitglieder Murdoc, Russel, 2-D und Noodle, während Albarn für die Musik zuständig war. Mit Singles wie „Clint Eastwood“ und „Feel Good Inc.“ schufen sie ein paar der größten Crossover-Hits dieser Dekade. Die Essenz der Genre verschmelzenden Gorillaz findet man jedoch in „Dirty Harry“, einem Song vom zweiten Album „Demon Days“: ein von Albarns Falsettgesang geleiteter Kinderchor, ein lässiger Electronica-Beat, und ein martialisches HipHop-Finale von Bootie Brown (The Pharcyde).

Der Meister der Supergroup Nr. 1: „Herculean“ (2007)

Nach dem (temporären) Ende von Blur war eigentlich jedes Damon-Albarn-Projekt eine Art Supergroup. Irgendeine Prominenz war immer an seiner Seite, von Danger Mouse über Flea bis Bobby Womack. Doch im Vergleich zu enttäuschenden Superstar-Bands wie The Traveling Wilburys oder Them Crooked Vultures, in denen das Ganze nie mehr als die Summe seiner Teile war, versteht Albarn es immer, die Stärken seiner prominenten MitmusikerInnen gezielt auszuspielen. Beweis Nr. 1: The Good, The Bad & The Queen. Die 2005 gegründete Band veröffentlichte 2007 ihr erstes Album. Man höre sich einfach „Herculean“ an, und staune, wie wundervoll Tony Allens virtuoser Afrobeat-Groove, die pointierte Bassline vom Ex-The-Clash-Mitglied Paul Simonon, die Klangwolken vom The-Verve-Gitarristen Simon Tong und Albarns Gesang zu einer großen, melancholischen Einheit verschmelzen.

Der Meister der Supergroup Nr. 2: „DoYaThing“ (2012)

Beweis Nr. 2: „DoYaThing“. Auf dem Papier mag der 2012 veröffentlichte Song eine Gorillaz-Single sein, eigentlich ist es aber ein Triptychon dreier Pop-Genies: LCD-Soundsystem-Mastermind James Murphy, Outcast-Frontmann André 3000 und Albarn. Der Song wurde von den drei Künstlern größtenteils improvisiert. André 3000s hysterischer (in einem einzigen Take aufgenommener) Rap-Freakout, Murphys Hook und Albarns nonchalanter Sprechgesang ergeben unwiderstehlichen Pop – der am besten in der irrwitzigen 13-Minuten-Version genossen werden sollte.

Der Opernschreiber: „Apple Carts“ (2012)

Wenn Pop-KünstlerInnen Opern schreiben, dann stinkt das oft nach Prog-Rock-Maximalismus. Nicht so bei Damon Albarn: Dessen Oper „Dr Dee“ aus dem Jahr 2012 ist eher von zurückhaltender Natur, eine melancholische Abhandlung über das Leben des britischen Arztes John Dee. Darin versteckt: „Apple Carts“, eine verletzliche Ballade im barocken Format – und einer der schönsten Songs, die Albarn je geschrieben hat.

Der Solist: „Heavy Seas Of Love“ (2014)

Bei solch einer langen und vielseitigen Karriere ist es schon verwunderlich, dass Damon Albarn erst im im Frühling 2014 sein erstes offizielles Soloalbum veröffentlicht hat. Mit „Everyday Robots“ hat er sein Rad nicht neu erfunden, sondern wirkte fast ein bisschen ideenlos – bis am Ende der Platte „Heavy Seas Of Love“ beginnt: Im Duett mit Brian Eno singt er den Gospel seines Lebens. Ein umarmendes Stück Pop-Musik.

Auch ByteFM Moderator Till Kober hat am 19. März 2018 in seiner Sendung Bordermusic den wahnwitzigen Versuch unternommen, Damon Albarns musikalisches Schaffen in einer Stunde abzubilden. Mitglieder im Förderverein „Freunde von ByteFM“ können die Ausgabe im ByteFM Archiv nachhören. Ebenfalls dort zu finden, ist die Champagne-Supernova-Folge „(K)ein Interview mit Damon Albarn mit Matthes Köppinghoff“ vom 4. Juli 2014. In der trauert unser Brit-Pop-Fachmann Matthes Köppinghoff einem kurzfristig abgesagten Interview-Termin hinterher, spielt sich aber zum Trost einmal durch Albarns Diskografie.

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Diskussionen

5 Comments
  1. posted by
    Christian
    Mrz 27, 2018 Reply

    Nächste Supergroup: https://www.youtube.com/watch?v=kJpVJpI5z64 … Und gerade entdeckt … noch eine … https://www.youtube.com/watch?v=6DVKYE6pEb4

    Wunderbar.

  2. posted by
    GuysNightlife
    Apr 5, 2018 Reply

    Excelente artículo ( gracias, Muzikalia y Txus Iglesias) con motivo del cumpleaños de Albarn, para recordar un grupo capital en los 90 y que han contado con grandes hitos y otros momentos más desapercibidos, pero en la que siempre está presente el carisma de este inquieto y prolífico artista, Personalmente, me quedo con los clásicos „Parklife y „The Great Escape, pero siempre es disfrutable el talento de Albarn y Coxon. Saludos.

    • posted by
      ByteFM Redaktion
      Apr 5, 2018 Reply

      Gracias! 🙂

  3. posted by
    Michael
    Mrz 12, 2021 Reply

    „The Good, The Bad & The Queen. Die 2005 gegründete Band veröffentlichte 2007 ihr erstes und einziges Album.“

    2018 erschien jedoch noch „Merrie Land“

    • posted by
      ByteFM Redaktion
      Mrz 15, 2021 Reply

      Lieber Michael, da hast Du natürlich Recht. Der Artikel wurde ja bereits im März 2018 veröffentlicht, acht Monate vor Erscheinen des zweiten Albums. Insofern konnte dies also noch nicht berücksichtigt werden. Die entsprechende Stelle haben wir hiermit angepasst. Viele Grüße, die ByteFM-Redaktion.

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