Primavera Beach Club (Foto: Cecilia Diaz Betz)
Großartige Konzerte, enthusiastische Fans und Musiker, Urlaubsfeeling … Aber auch platt gelaufene Füße und Organisationsdilemma. So lässt sich das Primavera Sound Festival mit wenigen Worten beschreiben. Am vergangenen Wochenende ging es zum 16. Mal in der katalanischen Metropole Barcelona über die Bühne. Das Line-up ist immer bemerkenswert gut, in diesem Jahr aber scheint es, als haben sich die Veranstalter noch einmal selbst übertroffen.
Bereits am Montag beginnt das Warm-up-Programm in verschiedenen Locations in der Innenstadt, am Mittwoch startet dann das reguläre Programm auf dem Festivalgelände am Meer. Diesen ersten Abend, der für alle Besucher kostenlos ist, eröffnen für mich die Briten von Suede. Sie liefern ein Best-of ihrer bisherigen Karriere, mit einem Brett Anderson in Bestform, der immer noch so leidenschaftlich agiert wie vor 15 Jahren. Am folgenden Donnerstag performt die Band dann ausschließlich ihr neues Album „Night Thoughts“.
Künstler gleich an mehreren Tagen und auf unterschiedlichen Bühnen auftreten zu lassen, ist beim Primavera nicht selten. So treten z. B. ebenfalls am Mittwochabend Suuns aus Kanada im Apolo-Theater in der Stadt auf, einen Tag später dann auf dem Festivalgelände. Ihr Auftritt im Theater ist ein einziger Trip: intensiv, düster, an Grenzen gehend. Auch LCD Soundsytem geben gleich zwei Konzerte in dieser Woche: am Dienstag ein „Special Opening Set“ und zu später Stunde am Donnerstagabend ein reguläres Konzert auf der Hauptbühne. „You know, we played Primavera 13 years ago, not very well known“ erinnert sich James Murphy ein wenig wehmütig zu Beginn des Sets. Ihr Auftritt beim Primavera Sound ist nach ihrem Comeback der erste in Europa. Auch wenn die Band sehr gefeiert wird, gibt sie sich ansonsten eher cool, beinahe routiniert.
Distanziertheit wiederum ist nicht das Ding von John Dwyer und seiner Band Thee Oh Sees. Zwei Schlagzeuger und einen Bassisten hat er mitgebracht, er selbst spielt Gitarre, schneidet wilde Grimassen und treibt die Band immer wieder wie entfesselt an. Besonders den beiden Schlagzeugern zuzusehen, wie sie im Akkord ihre Drums bearbeiten, ist eine wahre Freude. Dagegen wirkt John Stanier von Battles, die ihren Auftritt im Anschluss haben, beinahe behäbig.
Auf dem Primavera Sound feiern in diesem Jahr gleich mehrere Bands ein Comeback. Zum einen A.R. Kane, Shoegaze-/Dreampop-Duo aus den 80ern. Von der ursprünglichen Zweierbesetzung ist allerdings nur noch Alex Ayuli dabei, er hat seine Schwester mit in die Band geholt und einen jungen Gitarristen. Auch The Chills aus Neuseeland sind vertreten, die im letzten Jahr nach 20 Jahren ein neues Album veröffentlicht haben, und in Deutschland z. B. nur für ein Konzert in Köln zu sehen waren. Der Auftritt von Lush bleibt nur den BesucherInnen vergönnt, die sich ein Extra-Ticket für die „Heineken Hidden Stage“ (wer braucht so was?) ergattern konnten. Ja, und dann war da ja noch der Auftritt von The Avalanches, die nach 16 Jahren in diesem Sommer ihr zweites Album veröffentlichen. Ihr Auftritt in der Nacht von Freitag auf Samstag entgeht mir aber leider.
John Carpenter @ Primavera Sound (Foto: Xarlene)
„Hello Primavera! My name is John Carpenter. Most of my career I wrote music für horror movies, splatter films, ghost tales or science fiction stories“. Wie ein Baum steht der Kult-Regisseur und Komponist auf der Bühne am Keyboard, kaut Kaugummi und gibt kurze Kommentare zu den jeweiligen Songs ab. Den Hauptjob macht seine mehrköpfige Band im Hintergrund. Eine sehr unterhaltsame Sache ist dieser Auftritt, nicht zuletzt weil auf einer großen Leinwand Ausschnitte aus den betreffenden Filmen gezeigt werden.
Mit seinen 68 Jahren ist John Carpenter fast so alt wie Brian Wilson, die beiden Herren aber könnten unterschiedlicher nicht sein. Musikalisch natürlich sowieso, aber auch im Auftreten: Während der eine wie ein Fels in der Brandung an seinem Keyboard steht, verschwindet der andere beinahe hinter seinem riesigen Flügel und muss beim Gesang oft von einem jüngeren Sänger unterstützt werden. Zum 50. jährigen Jubiläum von „Pet Sounds“ bringt der kreative Kopf der Beach Boys dieses Album noch mal – ein letztes Mal, wie es heißt – auf die Bühnen Europas und sorgt für rührende Momente am Samstagabend.
Einen Tag zuvor an gleicher Stelle: Radiohead. Bei ihrem Auftritt von rührenden Momenten zu sprechen, ist wohl etwas untertrieben. Die Aufregung vor und während des Konzerts der Engländer ist beinahe greifbar. Kurz vor dem Konzert füllt sich der Platz vor der großen Hauptbühne mit derart vielen Menschen, dass man froh ist, nicht an Klaustrophobie zu leiden. Nicht wenige Fans haben sich schon nachmittags vor der großen Hauptbühne eingefunden und ausgeharrt, um möglichst weit vorne stehen zu können. Ihre Geduld soll sich auszahlen, denn für den Großteil des Publikums ist die Band unerreichbar weit weg. Ihr Auftritt ist eine zwiespältige Sache: teilweise zu leiser Sound; eine Leinwand, die nicht die Musiker zeigt, sondern nur schachbrettartig die Bühne und zwischendurch auch schon mal ganz ausfällt. Das Set beginnt mit Stücken vom neuen Album, mit „No Surprises“ dann beginnt die Reise in die Vergangenheit. Die Songs selbst sind großartig, und das Publikum feiert die Band frenetisch. Mein Herr zur Linken z. B. ist beeindruckend textsicher, was besonders bei Songs wie „Talk Show Host“ oder „Everything In Its Right Place“ deutlich wird. Spätestens aber bei „Karma Police“ und „Creep“ als außerplanmäßige zweite Zugabe singt eh jeder mit.
PJ Harvey @ Primavera Sound (Foto: Eric Pamies)
Mit Soundproblemen hat PJ Harvey am folgenden Tag glücklicherweise keine Probleme. Auch sie spielt auf der Hauptbühne und beeindruckt von Beginn an mit einem außergewöhnlichen Auftritt. Ähnlich einer Marching Band betritt sie mit ihren acht Musikern die Bühne (darunter langjährige Kollegen wie Mick Harvey und John Parish) – sprichwörtlich mit Pauken, Trompeten und Saxofon. Auch hier beginnt das Set mit Stücken des neuen Albums, Songs aus „Let England Shake“ aber knüpfen nahtlos an und auch ältere Songs wie „To Bring You My Love“ sind vertreten. Einige der Besucher verlassen dennoch, so scheint es, vorzeitig den Auftritt (wahrscheinlich wollen sie bei Sigur Rós einen guten Platz ergattern), für mich aber ist dieser Auftritt von PJ Harvey einer der absoluten Höhepunkte des Festivals.
Das Überangebot des Primavera Sound, es ist das große Dilemma, Segen und Fluch zugleich. Als BesucherIn wird man mehrmals geprüft: Zum einen im Haushalten seiner Kräfte, zum anderen im Üben von Gelassenheit. Wenn man sich aber freimachen kann von irgendwelchen „Must-sees“, dann erlebt man tolle Auftritte, denn besonders unter den Bands und KünstlerInnen genießt das Festival einen guten Ruf. Und nicht zuletzt ist es das Publikum, das für besondere Momente sorgt: So z. B. bei Black Lips, wo ein junger Mann auf die Bühne darf, um seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Die Band singt dabei im Hintergrund „Do You Really Want To Hold My Dirty Hand?“ Oder die Interaktion zwischen einem Fan und Ty Segall am Samstagabend. Während letzterer sich eine kurze Pause hinter der Bühne genehmigt (vielleicht musste er mal?) drückt er zuvor einem Fan in der vorderen Reihe das Mikrofon in die Hand. Der freundet sich nach anfänglicher Scheu mit der Rolle des Sängers doch ganz gut an. Und beeindruckt Ty Segall so sehr, dass der kurzerhand die Rollen tauscht: Ty ab ins Publikum, Fan (sein Name war „Manni“) rauf auf die Bühne. Primavera-Momente, die man so schnell nicht vergisst.
PS: Sie hat übrigens „ja“ gesagt!