Die Türen – „Kapitalismus Blues Band“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 9. Oktober 2023

Cover des Albums „Silver“ von Say She She, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Die Türen – „Kapitalismus Blues Band“ (Staatsakt)

Ein Label zu gründen, ist schon eine ziemlich dumme Idee. Zumindest aus kommerzieller Sicht betrachtet. Denn Musik kostet fast immer mehr Geld, als sie einbringt. Wer nicht ein schon jahrzehntelang etablierter Industrie-Gigant ist, hat es schwer genug, ein Monatsgehalt zusammenzukratzen, das zum Überleben reicht. Und wenn dann das Unmögliche passiert, der sorgsam aufgezogene Act zu einer tatsächlichen Einnahmequelle wird, wird die potentielle Wollmilchsau recht wahrscheinlich vom nächsten Major-Label gefressen. Das war vor 20 Jahren schon so. Und ist heutzutage, im von Streamingdiensten befeuerten Zeitalter der wertlosen Musik, noch viel schlimmer. Warum tut man sich das an? Und wie hält man das 20 Jahre durch?

Eine Antwort: vielleicht wegen der Liebe zur Sache? Das scheint, aus Sicht Außenstehender, im Hause Staatsakt der Fall zu sein. 2003, vor ziemlich genau 20 Jahren, gründeten Maurice Summen und Gunther Osburg in Berlin eine bis heute unerschütterliche Instanz für sehr gute Musik. Dass auf vielen der besten zeitgenössischen deutschsprachigen LPs, von Ja, Panik über Christiane Rösinger bis zu International Music, ein Staatsakt-Sticker klebt, sollte Beweis genug sein. Dass der spätkapitalistische Wahnsinn der Musikindustrie an ihnen aber nicht einfach abprallt, zeigt die Musik, die Summen und (der mittlerweile nicht mehr am Label beteiligte) Osburg gemeinsam mit ihren Bandkollegen Chris Imler, Andreas Spechtl und Ramin Bijan machen. Sie sind Die Türen, die stets beschäftigte „Hausband“ des Labels, die nun zur Feier von zwei Jahrzehnten Staatsakt ihr sechstes Studioalbum veröffentlicht. Es hat den wenig subtilen und dennoch treffenden Namen „Kapitalismus Blues Band“. Und es ist genauso feierlich wie giftig.

Gibt es ein richtiges Streamen im falschen?

Die Frage nach dem „ethischen Musikkonsum“ ist für Summen schon länger ein Anliegen. Zuletzt zeigte seine Solo-LP „PayPalPop“ transparent, wie über den Globus verteilte „Geister-Produzent*innen“ zu Dumpingpreisen Beats am DAW-Fließband produzieren. Doch so explizit wie in „Gut für mich, schlecht für die Welt“, dem ersten Song von „Kapitalimus Blues Band“, benannte er sie noch nicht. „Du hörst die Musik / Natürlich nicht auf Spotify / Sondern lädst sie runter auf Bandcamp, werbefrei“, ätzt er über Fuzz-Gitarren-Lärm.

Und weiter: „Aber gehört Bandcamp nicht Epic Games / Und Epic Games Tencent?“ Auch die „Fairtrade-Alternative“ zum ausbeutenden Streamingdienst ist vor dem Kapitalismus nicht sicher. Auch sie wurde 2022 von einem Milliardenunternehmen geschluckt, dessen Tochterfirma übrigens 8,6% der Anteile vom besungenen Streaming-Unternehmen gehören. Eine sich selbst verschlingende Schlange, die noch lange nicht satt ist. (Epic Games verkündete übrigens erst am 28. September 2023, dass Bandcamp nun an die Streaming-Distributions-Firma Songtradr verkauft wurde und 16 Prozent der Mitarbeitenden entlassen werden.) Und sich dabei immer und immer wieder im Kreis dreht, bis alles totrecycelt ist, wie sie später in „Alte Sorte“ besingen. „Ist vorbei, ist vorbei und kommt wieder / Es kommt wieder und es geht wieder vorbei / Ist zu spät, weil zu früh, ist vorbei.“

Gift und Liebe

Konträr zu all diesem Gift steht die Musik. Die krautigen, ausgefransten Songs ecken durchaus in ihrem Sound an, sind aber von einer umwerfenden Spielfreude durchzogen. Im Vergleich zur Vorgänger-LP, der Zwei-Stunden-Odyssee „Exoterik“, ist „Kapitalismus Blues Band“ eine sehr tighte Angelegenheit geworden. Die oft in Loops oder Versatzstücken aufgenommenen und dann verspielt zusammengeklebten Tracks fließen nahtlos ineinander über, von einer endorphinschwangeren Ekstase in die nächste.

Der zackige Post-Punk von „Grunewald Is Burning“ verwandelt sich in den nervösen Kraut-Dub von „Zu viel los hier gerade“, verwandelt sich in den ausgefransten Rave-Rock von „Party Game“, verwandelt sich in die Brian-Eno-meets-Spiritualized-meets-The-Düsseldorf-Düsterboys-Ballade „Im Wohnzimmer meines Opas“. Die im Türen-Universum schon immer beliebten Zitate sind gleichzeitig direkter und wahnwitziger geworden: Im Finale von „Die Angst des weißen Mannes“ singt die Band die Hookline von „Aquarius“ aus dem Musical „Hair“ zur Melodie von Talking Heads‘ „Crosseyed And Painless“. Was all diese Wahnsinnsmusik eint, ist ein spürbarer Spaß – den man vielleicht auch Liebe nennen könnte.

Veröffentlichung: 6. Oktober 2023
Label: Staatsakt

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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