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Was ist Musik Don't call me Nigger, Whitey!

ByteFM: Was ist Musik vom 03.03.2013

Ausgabe vom 03.03.2013: Don't call me Nigger, Whitey!

Don't call me Nigger, Whitey! Wie das BLACK aus dem Rock verschwand

„San Francisco war für Schwule und Lesben was Israel für Juden war, nur mit weniger Kriegen und mehr Parties.“ Das schreibt Joshua Gamson in seiner Biografie der Disco-Diva Sylvester. 1967 ist San Francisco für Abweichler aller Schattierungen eine Art Israel. Man kennt noch keine Patchwork-Familien, als Sly & The Family Stone sich zusammentun. Dabei ist die sanfranziskanische Family des Sly Stone eine Patchwork-Familie aus dem utopischen Bilderbuch der Sechziger Jahre. Männer und Frauen, Weiße und Schwarze, gerne mit gegen die Hautfarbe besetzter Perücke, für alle(s) ist Platz in dieser polymorph-polytoxikoman-perversen Familie. Erste vollintegrierte Band der Rockgeschichte!, jubelt die Kritik. Integration ist ein umkämpfter Begriff in diesen Tagen, die Leichen der ermordeten afroamerikanischen Führer Malcolm X und Martin Luther King sind noch nicht kalt. Integration und Desintegration konfigurieren sich stündlich neu, die Formel, dass alles möglich sei, ist gleichermaßen Versprechen wie Drohung. In diese beschleunigte Hitze schleudern Sly & The Family Stone eine fabelhafte Serie von polyglotten Hits, wie geschaffen für die Global Jukebox. Schon die Titel haben Universal-Appeal: Everyday People, Everybody is a star, Dance to the music, I wanna take you higher, Stand!...Für solche Slogans geben Turnschuhfirmen heute Millionen aus. An der Wende zu den Siebzigern stehen Sly & The Family Stone da wie der der fleischgewordene Traum von Integration. Wäre da nicht das große Ego des Sylvester „Sly“ Stewart und sein großer Hunger auf Drogen. Kokain hat ja die zwiespältige Eigenschaft, das Ego-Vertrauen in den Himmel wachsen zu lassen. Und mindestens dorthin wollte Sly Stone mit seiner Musik.
Ende von Seite Eins: als sechsten Song verzeichnet das Plattenlabel ”There´s a riot goin´ on”. Spielzeit: 0.00. Auf die Platte schauen, Schnitte zählen, feststellen, dass es keinen Riot-Song gibt (soviel zur Überlegenheit des Vinyls). Der Riot findet nicht statt. "Das Album ist aus dem Gefühl heraus entstanden, daß die positiven Vorstellungen der 60er Jahre an ihre Grenzen gestoßen waren, sich gegen sich selbst gekehrt und dort Unheil angerichtet hatten, wo nur Gutes erwartet worden war." Der weiße Kritiker Greil Marcus über Riot. ”Das Riot-Album ging sooo weit weg von all dem, was Sly vorher getan hatte, es war ein Spiel mit dem Feuer. Er wollte sehen, wie weit er sich vom kommerziellen Mainstream entfernen konnte und dabei trotzdem kommerziellen Erfolg haben.” (Stephen Paley von der Plattenfirma)
Allerdings hatte Sly schon vorher kommerziellen Erfolg mit Dingen, die nicht vorgesehen waren. So wie Hendrix Hits hatte mit Transzendenz, Transgression, so wie später der Bastardsohn von Sly & Jimi: Prince´s Parade-Cover zitiert Sly´s Anthology, seine Bandmodelle ähneln dem Family-Modell des Sylvester Stewart, sein Opus Magnum ”Sign of the times” versucht ein Sittenbild seiner Zeit. Der Versuch gelingt/scheitert so grandios wie Riot 16 Jahre zuvor. Vielleicht unterscheidet die Anwesenheit des Scheiterns “Riot” von den kanonisierten Meisterwerken des aufkommenden Autorensoul: “What´s going on”, “Curtis”, “Back to the world” – verglichen mit “Riot” waren Gayes und Mayfields Alben ausgereift, abgerundet, perfekt.
Ende von Seite Zwei. "Thank you for talkin´to me africa". Wieder Marcus: “Es ist sehr lang, sehr langsam, voller Tod, es sagt: O.k., ich habe die Pillen genommen, jetzt warte ich drauf, daß sie anfangen zu wirken. Bis es soweit ist, können wir reden.”
"Thank you for talkin´to me africa" ist die durch Verlangsamung verlängerte Jam-Version der Hypno-Funk-Hit-Single ”Thank you (falettinme be mice elf agin)”, die ein Top Ten-Publikum mit onomatopoetisch-lautmalerischen Schreibweisen des black vernacular bekannt machte. Auf dem Album bleibt der gesungene Text erhalten, nicht aber der Songtitel: “Danke, dass du mir gestattest, wieder ich selbst zu sein” wird zu “Danke, dass du mit mir sprichst, Afrika!” Afrika spricht durch Riot, der voodoohafte Jam am Ende der ersten Seite heisst “Africa talks to you `The Asphalt Jungle´”. Sly hört Stimmen, spricht in Zungen, Signifyin´ Sly? Wovon “Curtis” und “What´s going on” in grossen Epen erzählen, das ist bei “Riot” tief in den Sound gesickert, vor allem die Erfahrung einer grundlegenden Alienation (hier muss das englische Wort her). Die Auslaufrille des Welthits “Family affair”. Man steckt mit den Ohren in Slys Kehle. Just like a baby: Schwimmen in der Fender Rhodes-Fruchtblase, glossolalisch jusslikeabaabee...der unfassbare Spaced Cowboy, ein Jodler über Rhythmusmaschine. War eine Revolution damals, der Rhythmus aus der Box. Damit kam Shuggie Otis zur selben Zeit zu ähnlichen Resultaten und fand seine eigene Sprache dafür: “Aht uh mi hed”. Aus meinem Kopf. Far out.

“Wake up Sly!” Eric D.Clark

”In fast jeder modernen Pop-Platte kann man Elemente von Sly Stone identifizieren.”
Ian Broudie


"Das Album ist aus dem Gefühl heraus entstanden, daß die positiven Vorstellungen der 60er Jahre an ihre Grenzen gestoßen waren, sich gegen sich selbst gekehrt und dort Unheil angerichtet hatten, wo nur Gutes erwartet worden war."
Greil Marcus

Frank Ocean. Ist das jetzt hauntologischer Post-HipHop oder Post-Soul? Wäre ja durchaus verlockend und naheliegend. Auch Ocean plündert genüsslich im hauntologischen Nebel des Adult-Rock aus den Ätherarchiven der 1970er/1980er und schreckt dabei auch nicht vor den Eagles oder Fleedwood Mac zurück (schön nachzuhören auf www.datpiff.com/Frank-Ocean-Nostalgia-Ultra-mixtape.210282.html). Nur tut er dies mit dem Fan-Blick auf etwas vermeintlich Fremdes, der dabei jedoch auch gleichzeitig die Frage impliziert, wieso Afro-AmerikanerInnen nicht auch »weißen« Adult-Rock toll finden sollen und können. Auch bei Ocean ist das Konstrukt »Black Music« eine fragliche Zuschreibung und wird eher als ästhetische Herangehensweise wie (ebenso politische wie persönliche) Erfahrung gedacht (durchaus befremdlich, irritierend und wenn schon quasi »homegrown« dann auch eher dort wo das »P« im Sinne eines »Para« bzw. »Psycedelic«vor dem Funk steht). Auch Prince wuchs bekanntlich in einer Stadt auf, deren Radiostationen den Äther hauptsächlich mit Rock gespeist haben (also im Grunde das Gegenteil von dem, was in Detroit oder Cincinnati aus dem Radio erklungen ist).“
Didi Neidhardt, SKUG


“As Sly bassman Larry Graham explains, '" I'm gonna add some bottom
so that the dancing just don't end ," and then my fuzztone came in . See,
my fuzztone is a little box you step on. It 's a distortion box y'know.'
Instead of an inert lump of bass, Graham's fuzz bass distorts the low
end so it powers into the lead sound , careering up from under in
humpbackbeats, melodies from the bottom which bumpstart the arse
until it begins evolving into the ass and then the booty. With Sly and the
Family Stone, the bass deepens through distortion and starts roaming
around as low end rhythmelody.”
Kodwo Eshun

”`There´s a riot going on´ ist eine dieser seltenen Platten, die die Stimmung ihrer Zeit perfekt einfangen, politisch wie musikalisch. Die Songs und die Melodien waren wirklich einzigartig, nicht nur das funky Zeugs, auch der verrückte Pop-Kram. Und dann das Jodeln auf ”Spaced cowboy”. Doch, doch, das gefällt mir. Es sollte mehr gejodelt werden in der Popmusik.”
Paul Weller
Starring: Dirtbombs, Thin Lizzy, Schoolly D., Curtis Mayfield, Pet Shop Boys, Prince, The Chambers Brothers, Buddy Miles, Pere Ubu, Frank Ocean, Digital Underground, Charles Bradley. No David Bowie.

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Playlist

1.  The Chambers Brothers / All Strung Out Over You
Time Has Come Today / Columbia
2.  The Chambers Brothers / Time Has Come Today
Time Has Come Today / Columbia
3.  Pere Ubu / Musicians Are Scum
Lady From Shanghai / Fire
4.  Bob Dylan / Subterranean Homesick Blues
Biograph / CBS
5.  Chuck Berry / Too Much Monkey Business
Early Rappers / Trikont
6.  Jimi Hendrix & The Band Of Gypsys / Who Knows
Band Of Gypsys / Polydor
7.  Digital Underground / The Way We Swing
Sex Packets / Tommy Boy
8.  Buddy Miles / Them Changes
Them Changes / Mercury
9.  Sly & The Family Stone / Hot Fun In The Summertime
Greatest Hits / Epic
10.  Sly & The Family Stone / Don't Call Me Nigger Whitey, Don't Call Me Whitey Nigger
Greatest Hits / Epic
11.  Prince / Rock And Roll Love Affair
Rock And Roll Love Affair / Paisley Park
12.  Frank Ocean / Pink Matter (Ft. André 3000)
Channel Orange / Universal
13.  Schoolly D. / Am I Black Enough For You?
Am I Black Enough For You? / Jive
14.  Billy Paul / Am I Black Enough For You?
360 Degrees Of Billy Paul / CBS
15.  Schoolly D. / I Don't Like Rock 'n' Roll Radio
I Don't Like Rock 'n' Roll Radio / Flame
16.  Pet Shop Boys / How I Learned To Hate Rock 'n' Roll
Se A Vida / EMI
17.  The Chambers Brothers / People Get Ready
Time Has Come Today / Columbia
18.  Curtis Mayfield / If There's A Hell Below We're All Gonna Go
Curtis / Curtom
19.  Charles Bradley / Confusion
Victim Of Love / Daptone
20.  The Dirtbombs / Kung Fu
Kung Fu / Mahogani