„The Metallica Blacklist“ vs. „I’ll Be Your Mirror“: zwei Tribute-LPs im Vergleich

Bilder der Tribut-LPs „The Metallica Blacklist“ und „I'll Be Your Mirror“.

„The Metallica Blacklist“ (Blackened) und „I’ll Be Your Mirror – A Tribute To The Velvet Underground & Nico“ (Virgin)

5,5 / 7,9

Wer wissen möchte, wie ein schlecht kuratiertes Tribute-Album aussieht, muss dieser Tage nicht lange suchen. Eines der bombastischsten Events des Rockmusik-Jahres 2021 heißt „The Metallica Blacklist“, eine Coversammlung zu Ehren des mittlerweile 30 Jahre alten „Schwarzen Albums“ der Metal-Institution. Schon das Metallica-Original, mit dem die Band endgültig ihre Trash-Metal-Phase hinter sich ließ und gegen Stadion-Rock-Posen eintauschte, war eine etwas behäbige Angelegenheit: 62 Minuten und zwölf, zum Teil viel zu lange, Songs schwer. Das Tribute-Album erreicht aber ganz andere Dimensionen: 53 (!) Coverversionen in über vier Stunden (!) Laufzeit.

Die Wahl der Interpret*innen ist aber zum Teil ziemlich originell. Die Liste reicht von Pop-Gigant*innen wie Elton John und Miley Cyrus über Indie-Darlings wie Cherry Glazerr oder Idles bis zu Acts, die die Ursprungssongs meilenweit aus ihrer Komfortzone heraustreiben, wie Klassik-Pianist Igor Levit, Jazz-Fusion-Visionär Kamasi Washington und das HipHop-Produzenten-Team The Neptunes. Doch die Zusammenstellung der Tracklist ist eine Katastrophe – 53 Cover entlang der Original-Reihenfolge. Die erste der vier CDs von „The Metallica Blacklist“ beginnt mit sechs Variationen von „Enter Sandman“, gefolgt von sieben „Sad-But-True“-Covern. Und genauso geht es weiter. Kulminierend in zehn sukzessiven Interpretationen von „Nothing Else Matters“. Nach diesen vier Stunden chinesischer Wasserfolter bleibt wenig bis keine Liebe für die Originale übrig. Stattdessen zeigt „The Metallica Blacklist“, was für ein ermüdendes, schwergewichtiges, selbstgefälliges Album das Original eigentlich ist (und schon immer war).

Die letzte Arbeit von Hal Willner

Wer wissen möchte, wie ein gut kuratiertes Tribute-Album aussieht, muss ebenfalls nicht lange suchen! Denn es gibt zur Zeit noch eine andere Cover-LP, die in jeder Hinsicht den Gegenpol zu „The Metallica Blacklist“ darstellt. Sie heißt „I’ll Be Your Mirror“ und ist eine Variation auf „The Velvet Underground & Nico“, das legendäre Debütalbum der titelgebenden Proto-Indie-Band. Dieses Album kann zwar weniger Marktwert als das millionenschwere Metallica-Gegenstück vorweisen, in puncto Einfluss ist es aber eine ganz andere Hausnummer. Heutzutage gilt „The Velvet Underground & Nico“ als Blaupause für Alt-Rock, Punk, Anti-Folk, für quasi die komplette US-amerikanische Gegenkultur. Es wäre vermutlich ein Leichtes gewesen, 50 hochkarätige Cover-Interpret*innen dieses Indie-Mammutwerks zu versammeln.

Das wurde aber zum Glück gar nicht erst versucht. Stattdessen kommt „I’ll Be Your Mirror“ mit schlanken elf Songs daher, genauso viele wie auf dem Originalalbum. Die Gästeliste ist ebenso beeindruckend wie bei der Metallica-Beweihräucherung, aber zusätzlich viel fokussierter. Kein Wunder: „I’ll Be Your Mirror“ ist das letzte Kurationswerk von Hal Willner, der im April 2020 an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben ist. Genauso exzentrische wie wunderbare Tribute-LPs waren ein Spezialgebiet des US-Produzenten. Eine seiner verrücktesten Arbeiten war „Stay Awake“ aus dem Jahre 1988, eine LP, auf der allerlei US-Underground-Ikonen Disney-Klassiker covern. Dank Willner wissen wir, wie es klingt, wenn Tom Waits das Lied der Zwerge aus „Schneewittchen“ bellt oder Sun Ra die psychedelische Pinke-Elefanten-Sequenz aus „Dumbo“ interpretiert.

Neue Liebe für alte Wegbegleiter

In ihren stärksten Momenten ist die Zusammenstellung auf „I’ll Be Your Mirror“ genauso wunderbar anachronistisch. Michael Stipe, der mit seiner Band R.E.M. schon früh und oft Velvet-Underground-Songs coverte, eröffnet das Album mit einer mit Oboen und New-Age-Synthesizern ausstaffierten Meditationsmusik-Variation auf den Opener „Sunday Morning“. Violinist Andrew Bird und das Indie-Duo Lucius verwandeln das im Original hochgradig schmierige „Venus In Furs“ in Appalachen-Apokalypsen-Folk aus der Fire&Fire-Schule. Das Indie-Folk-Dreamteam Sharon Van Etten und Angel Olsen spielt „Femme Fatale“ in absoluter Zeitlupe – und genießt dabei jede Mikrosekunde.

St. Vincent und Thomas Bartlett machen aus dem hymnischen „All Tomorrow’s Parties“ eine Vocoder- und Piano-lastige Avantgarde-Abstraktion. Als Sängerin ist Courtney Barnetts lakonischer Gesang ein absolutes Gegenstück zu Nicos dramatischer Elegie, doch im Titelsong fühlt sich die Australierin dennoch spürbar pudelwohl. Gitarrist Matt Sweeney und Velvet-Underground-Zeitgenosse Iggy Pop (dessen erste LPs vom VU-Mitglied John Cale produziert wurden) drehen im Abschluss „European Son“ richtig frei und entfachen einen krautigen Albtraum aus Gitarren-Dissonanz und Schaum-am-Mund-Gesang.

Doch nicht jede dieser Versionen ist so inspiriert. So lässt Matt Berningers „I’m Waiting For My Man“ das eigentlich stürmische Original fast so einschläfernd wie einen The-National-Song wirken. Auch Slacker-Rock-Meister Kurt Vile bewegt sich in „Run Run Run“ kaum aus seiner Komfortzone, auch wenn er und seine Band hörbar Spaß haben. Dass nicht alle Cover funktionieren, gehört zu solch einem Vorhaben dazu. Schon interessant, dass das viel schlankere „I’ll Be Your Mirror“ so viel abenteuerlustiger wirkt als das viel weiter ausholende „Black-Album“-Tribut. Was „I’ll Be Your Mirror“ diesem Projekt auf jeden Fall meilenweit voraus hat: Am Ende von der Platte hat man direkt Lust, nochmal das Original zu hören – und kann dabei vielleicht sogar in einem alten Wegbegleiter neue Facetten entdecken.

Veröffentlichung: 10. September 2021 / 24. September 2021
Label: Blackened / Virgin

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