Was ist Musik 6.1.2015 Frankfurt-Bochum-Frankfurt
Mit dem Fahrrad zur U-Bahn, im Briefkasten die neue MOJO, Titel: David Bowie, The 100 Greatest Songs. Die CD dazu: DAVIDHEROESBOWIE – MOJO presents the artists that influenced David Bowie. Unter den Artists: Jacques Brel, Frank Sinatra, Pretty Things, Little Richard, Lotte Lenya, Nina Simone. Über die sagt Michael Gira von den Swans: “Wenn man Nina Simone hört, denkt man: Gott, was für eine Sängerin. In einer einzigen Zeile bringt sie fünf verschiedene Aspekte von sich unter.“ Gira sagt das in Electronic Beats, dem Pop-Magazin der Telekom, dazu später mehr.
Abfahrt Hauptbahnhof nach Bochum, eigentlich 14.42 Uhr. Verspätungsalarm. Technische Störung zwischen Frankfurt und Köln. Also früher los, 13.30. Ersatzverbindung: 14.29, mit Umsteigen in Köln. Zug steht schon bereit. Fährt aber nicht los. Durchsage nur auf dem Bahnsteig, nicht im Zug. Neue Ersatzverbindung: 15.10 Uhr, Umsteigen in Essen. Ein Cappuccino XL, 2.30 Euro. Zug kommt pünktlich. Umsteigen in Essen, auf dem Bahnsteig verkauft ein Mann die Obdachlosenzeitung, zwei Euro. Im Regionalexpress im Stehen zwei Seiten über den Greatest Bowie Song lesen: Life on Mars? „Hunky Dory is a demand for seismic change and a condemnation of the status quo. The album´s intellectual lodestarsare Andy Warhol, for whom fame was a glittering con, and Nietzsche, who believed in art, created by exceptional individuals, as `the proper task of life´.”
Bochum Hauptbahnhof kurz vor halb sechs, Bus 353 bis Knappenstraße. Zum Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität gleich neben der Zeche. Ringvorlesung „Pop ist ein weites Feld“. Mein Thema: „Der silberne Löffel im Arsch von Damon Albarn - Klassenverhältnisse in der britischen Popmusik einst und jetzt“, Vortrag mit Videos. Erster Clip: Actress: Forgiven
Dazu: O-Töne Diedrich Diederichsen über Actress und Opazität. Zitat Dan Barrow, WIRE 1/15: “The intermittent critical plaint since the 2011 UK riots – where’s all the protest music? – misses the point. In a climate where progressive politics is on the back foot, lacking the historical capability to produce radical aesthetic articulations, the demand for lyric content at the expense of form – the forcing of dully programmatic sentiments into existing song structures – is a call for additions to the garbage heap of culture. The work of Actress, Blunt and Copeland represents by default an act of political resistance, but more importantly they dwell in what Theodor Adorno calls the antisocial moment of the artwork. In the black mirror of the record, a society that offers nothing but domination finds its Other.”
Weitere Clips: Panorama from 1964 about The Kop at Anfield, Liverpool. Marianne Faithfull: Working Class Hero, Rolling Stones: Factory Girl, James Blunt: You´re beautiful.
Aus dem Vortrag: You're beautiful, mit seichten Popsongs wie diesem wurde James Blunt berühmt. Aber der britische Sänger kann auch anders. „Damon Albarn hat einen silbernen Löffel im Arsch stecken.“ Mit diesen Worten hat der Schlagersänger kürzlich einen Klassenkampf der besonderen Art eröffnet. James Blunt hat darauf hingewiesen, dass Damon Albarn, mit seiner Gruppe Blur einer der Superstars des Britpop, dass dieser Albarn ein Kind der Upper Class ist - wie viele britische Pop-Größen. Und dass er dieses Privileg zu kaschieren sucht, mit einem vorgetäuschten Working Class-Akzent.
Die Räume des Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität kenne ich. 2010 war das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Im Zuge dessen wurde dort, wo sich heute das Institut befindet, ein Studio für das Internetradio ByteFM eingerichtet und ein stundenweiser Sendebetrieb finanziert. Einmal im Monat fuhr ich von Frankfurt nach Bochum um hier Sendungen aufzunehmen, meistens mit Pop-Leuten aus dem erweiterten Ruhrgebiet. Diese Sendungen wurden okay honoriert, bei ByteFM die Ausnahme, die Regel ist Ehrenamt. Nach Ablauf des Kulturhauptstadt-Jahres wurde das neu installierte Studio wieder geschlossen, Teile des technischen Equipments wurden nach Hamburg transportiert, in die ByteFM-Zentrale. Was aus dem Rest der Technik wurde, weiß ich nicht. Jetzt sitzt das Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität in diesen Räumen, die kaum wiederzuerkennen sind, komplett umgebaut. Leiter des Instituts ist Hans Nieswandt, der mich zu zwei Vorträgen im Rahmen der Ringvorlesung eingeladen hat. Der erste war im Oktober, Thema: „Autotune & Pornografie, Körper-Apps & Selbstoptimierung.“
Für einen Vortrag von ca. 90 Minuten, inclusive Videoclips, gibt es 100 Euro brutto. Um halb zwei bin ich in Frankfurt losgefahren, eine Stunde nach Mitternacht werde ich zurückkommen. Der Vortrag ist ein upgedateter Remix aus Radiosendungen und Printtexten, daran habe ich etwa einen Tag gearbeitet. Für hundert Euro. Warum macht man das? Angenehme Umgebung, Hans Nieswandt ein guter Gastgeber, man kennt sich, auch die anderen Referenten hier, Karl Bruckmaier, Diedrich Diederichsen, Olaf Karnik, Dirk Scheuring, SPEX-Academy, alte weiß(haarig)e Männer droppen knowledge. Man kann reden, wie man will und über was man will, Hans hängt sich nicht rein, man kann Worte wie Kontingenz oder Opazität in den Mund nehmen, ohne sie auf der Stelle erklären zu müssen, man kann Pornovideos zeigen und man kann darüber spekulieren, ob der Körper der Frau bei der heterosexuellen Doppelpenetration für die beteiigten Männer ein homosozialer Raum ist oder doch schon ein homosexueller. So Sachen halt, geht nicht an jeder Uni, auch nicht bei jedem Radio. Das alte Lied der prekären Akademie-Ökonomie: Freedom of Speech, die Lizenz, spezielle Themen spezialistisch, opak, möglicherweise schwer verständlich zu behandeln, erkauft man sich teuer. Minderheitendiskurse werden minderwertig honoriert, oder gar nicht. Geht eigentlich nicht, man macht es trotzdem, weil neben den Studierenden auch interessierte Leute aus der Umgebung kommen, die das Hardcore Continuum nicht für eine Erfindung von Fugazi halten, Leute, die den Unterschied zwischen zwischen „Higher Than The Sun“ und „More Brilliant Than The Sun“ nicht für unerheblich halten. Und vielleicht kann man irgendwem noch eine Light-Version des Vortrags verkaufen.
Mit ein paar von den Interessierten im Auto zurück zum Bahnhof, der Zug geht erst in einer Stunde. Schnell was Essen in der Fußgängerzone, ein Teller Nudeln, ein Bier, ein Wein, 22 Euro incl. Trinkgeld. Zurück zum Bahnhof, noch eine Flasche Wein für die Fahrt, 4,49 Euro incl. Plastikbecher. Noch Zeit für den Zeitungskiosk. Die neue Electronic Beats. Eigentlich ekelhaft, aber ich kann die nicht ungekauft stehen lassen. Auf dem Cover Karen O.: „Was ich tue ist irgendwie absurd.“ Geht mir auch so. Was ich tue ist irgendwie absurd. Außerdem: „Rebellion auf Rollen: Wie die afro-amerikanische Rollschuh-Szene Dance Music revolutionierte.“ Superthema. Und Michael Gira von den Swans: „Wie viele Feinde kann man sich machen?“ Also doch kaufen und sich ein bisschen ekeln, auch vor sich selbst, 4.50 Euro.
Auf dem Cover der Electronic Beats ist das Telekom-Logo in Telekom & FDP-Magenta und ebenfalls in Magenta ein Aufkleber: „Jetzt mit Augmented Reality! Mehr auf Seite 13.“ Auf Seite 13 in Magenta: „Augmented Reality – Erhalte in nur 3 einfachen Schritten Zugang zu Unmengen an Extras!“ Ab Seite 16: „Empfehlungen“ von Richard Hell, Adam Harper, Heatsick usw…ein Gespräch mit Holly Johnson über Bowie, ein Bericht über Berlins sex-positive Danceparty „Gegen“. Geld schießt eben doch Tore. Dank Telekom kann Electronic Beats mit Arto Lindsay ein paar Tage in Rio verbringen und noch ein paar weitere in New York. Man kann einen Autoren nach Philadelphia schicken, zu Besuch beim neunzig Jahre alten Marshall Allen im Studio des Sun Ra Arkestra. Man hat Zeit, Geld und Platz, die großzügig Porträtierten nehmen sich Zeit und kriegen vermutlich gutes Geld dafür, dass sie außerhalb der üblichen Promo-Schedules für ausführliche Interviews zu haben sind. Unter solchen Bedingungen muss ja was halbwegs Interessantes rauskommen, Geld schießt Tore.
Eigentlich hatte ich im Zug die neue Testcard lesen wollen. 310 eng beschriebene Seiten Pop-Kritik, Thema des Hefts/Buchs: „Bug-Report – Digital war besser“. Roger Behrens mit einem „Digital ABC“, Waltraud Blischke über „t-cardcomp – Die Musikliste zur ungeregelten Geschmackssynthese“, ein Text über „Rumorende Algorithmen. Die Sounds der Digitalisierung“ von Raphael Smarzoch, übrigens auch ein Folkwang-Referent. Oder: eve massacre: „Network of Blood. Von `Augmented Reality´ bis zum `Liquid Self´: Nathan Jurgensons Webtheorien“. Superthemen, nicht immer Supertexte. Wer für Testcard schreibt, bekommt kein Geld, dementsprechend wenig Zeit bleibt für redaktionellen Feinschliff, dementsprechend holprig, redundant, unelegant sind manche Beiträge. Im Zug an Düsseldorf vorbei, der zweite Becher Weißwein, dann doch die Electronic Beats mit dem magentafarbenen Augmented Reality-Sticker.
Electronic Beats läßt auch MusikerInnen schreiben, in der Rubrik „Empfehlungen“ feiert beispielsweise Laetitia Sadier das neue Album von Ariel Pink. Er sei gesegnet mit einem einmaligen Verständnis klassischer Songwritertechniken, schreibt die ehemalige Sängerin von Stereolab. Und weiter: „Unterstützt von der legendären Kim Fowley, die einige der Songs mitgeschrieben hat, während sie sich von einer Krebstherapie erholte.“ Hä? Wirkt der Weißwein schon? Arme Laetitia Sadier. Bei der Übertragung aus dem Englischen (oder Französischen) wurde Kim Fowley Opfer einer Geschlechtsumwandlung. Dabei postet die legendäre Kim doch dauernd Dirty Old Man-Fotos. Ein alter, gebrechlicher, mutmaßlich todkranker Mann im Krankenbett, umgeben von mehr oder weniger leicht bekleideten Frauen, die dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre jünger sind als er.
Demnächst in Electric Beats: Das neue Buch des legendären Kim Gordon über die wilden Jahre mit seiner legendären Band Sonic Youth. Der legendäre Kim Deal von den legendären Pixies und den Breeders, der legendären Band, die er mit seinem Zwillingsbruder Kelley Deal gegründet hatte mit einem Erfahrungsbericht aus dem Heroin-Rehab. Manchmal schießt Geld auch Eigentore.
Manchmal schießt Geld auch Eigentore. Wenn etwa Michael Gira im Interview mit der folgenden Frage konfrontiert wird: „Wie siehst du die zunehmende Mitwirkung der Industrie an Kunst und Kultur?“ Die Antwort von Gira ist – wie das ganze Interview – auf ziemlich durchgeknallte Weise, nun ja, interessant, wie es eben interessant ist, wenn der Gründer der Swans über die göttliche Stimme von Nina Simone spricht, über seine Abneigung gegen HipHop oder über Analverkehr von Walen. Scheißinteressant, dieses Heft, wie einst Warhols Interview-Magazin. In der Anmutung allerdings hat Electronic Beats dann doch mehr von der Apotheken-Umschau. Oder von Mobil, dem Reisemagazin der Deutschen Bahn. Ankunft Frankfurt Hauptbahnhof: 23.59, Umsteigen in die U4.
Abfahrt Hauptbahnhof nach Bochum, eigentlich 14.42 Uhr. Verspätungsalarm. Technische Störung zwischen Frankfurt und Köln. Also früher los, 13.30. Ersatzverbindung: 14.29, mit Umsteigen in Köln. Zug steht schon bereit. Fährt aber nicht los. Durchsage nur auf dem Bahnsteig, nicht im Zug. Neue Ersatzverbindung: 15.10 Uhr, Umsteigen in Essen. Ein Cappuccino XL, 2.30 Euro. Zug kommt pünktlich. Umsteigen in Essen, auf dem Bahnsteig verkauft ein Mann die Obdachlosenzeitung, zwei Euro. Im Regionalexpress im Stehen zwei Seiten über den Greatest Bowie Song lesen: Life on Mars? „Hunky Dory is a demand for seismic change and a condemnation of the status quo. The album´s intellectual lodestarsare Andy Warhol, for whom fame was a glittering con, and Nietzsche, who believed in art, created by exceptional individuals, as `the proper task of life´.”
Bochum Hauptbahnhof kurz vor halb sechs, Bus 353 bis Knappenstraße. Zum Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität gleich neben der Zeche. Ringvorlesung „Pop ist ein weites Feld“. Mein Thema: „Der silberne Löffel im Arsch von Damon Albarn - Klassenverhältnisse in der britischen Popmusik einst und jetzt“, Vortrag mit Videos. Erster Clip: Actress: Forgiven
Dazu: O-Töne Diedrich Diederichsen über Actress und Opazität. Zitat Dan Barrow, WIRE 1/15: “The intermittent critical plaint since the 2011 UK riots – where’s all the protest music? – misses the point. In a climate where progressive politics is on the back foot, lacking the historical capability to produce radical aesthetic articulations, the demand for lyric content at the expense of form – the forcing of dully programmatic sentiments into existing song structures – is a call for additions to the garbage heap of culture. The work of Actress, Blunt and Copeland represents by default an act of political resistance, but more importantly they dwell in what Theodor Adorno calls the antisocial moment of the artwork. In the black mirror of the record, a society that offers nothing but domination finds its Other.”
Weitere Clips: Panorama from 1964 about The Kop at Anfield, Liverpool. Marianne Faithfull: Working Class Hero, Rolling Stones: Factory Girl, James Blunt: You´re beautiful.
Aus dem Vortrag: You're beautiful, mit seichten Popsongs wie diesem wurde James Blunt berühmt. Aber der britische Sänger kann auch anders. „Damon Albarn hat einen silbernen Löffel im Arsch stecken.“ Mit diesen Worten hat der Schlagersänger kürzlich einen Klassenkampf der besonderen Art eröffnet. James Blunt hat darauf hingewiesen, dass Damon Albarn, mit seiner Gruppe Blur einer der Superstars des Britpop, dass dieser Albarn ein Kind der Upper Class ist - wie viele britische Pop-Größen. Und dass er dieses Privileg zu kaschieren sucht, mit einem vorgetäuschten Working Class-Akzent.
Die Räume des Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität kenne ich. 2010 war das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Im Zuge dessen wurde dort, wo sich heute das Institut befindet, ein Studio für das Internetradio ByteFM eingerichtet und ein stundenweiser Sendebetrieb finanziert. Einmal im Monat fuhr ich von Frankfurt nach Bochum um hier Sendungen aufzunehmen, meistens mit Pop-Leuten aus dem erweiterten Ruhrgebiet. Diese Sendungen wurden okay honoriert, bei ByteFM die Ausnahme, die Regel ist Ehrenamt. Nach Ablauf des Kulturhauptstadt-Jahres wurde das neu installierte Studio wieder geschlossen, Teile des technischen Equipments wurden nach Hamburg transportiert, in die ByteFM-Zentrale. Was aus dem Rest der Technik wurde, weiß ich nicht. Jetzt sitzt das Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität in diesen Räumen, die kaum wiederzuerkennen sind, komplett umgebaut. Leiter des Instituts ist Hans Nieswandt, der mich zu zwei Vorträgen im Rahmen der Ringvorlesung eingeladen hat. Der erste war im Oktober, Thema: „Autotune & Pornografie, Körper-Apps & Selbstoptimierung.“
Für einen Vortrag von ca. 90 Minuten, inclusive Videoclips, gibt es 100 Euro brutto. Um halb zwei bin ich in Frankfurt losgefahren, eine Stunde nach Mitternacht werde ich zurückkommen. Der Vortrag ist ein upgedateter Remix aus Radiosendungen und Printtexten, daran habe ich etwa einen Tag gearbeitet. Für hundert Euro. Warum macht man das? Angenehme Umgebung, Hans Nieswandt ein guter Gastgeber, man kennt sich, auch die anderen Referenten hier, Karl Bruckmaier, Diedrich Diederichsen, Olaf Karnik, Dirk Scheuring, SPEX-Academy, alte weiß(haarig)e Männer droppen knowledge. Man kann reden, wie man will und über was man will, Hans hängt sich nicht rein, man kann Worte wie Kontingenz oder Opazität in den Mund nehmen, ohne sie auf der Stelle erklären zu müssen, man kann Pornovideos zeigen und man kann darüber spekulieren, ob der Körper der Frau bei der heterosexuellen Doppelpenetration für die beteiigten Männer ein homosozialer Raum ist oder doch schon ein homosexueller. So Sachen halt, geht nicht an jeder Uni, auch nicht bei jedem Radio. Das alte Lied der prekären Akademie-Ökonomie: Freedom of Speech, die Lizenz, spezielle Themen spezialistisch, opak, möglicherweise schwer verständlich zu behandeln, erkauft man sich teuer. Minderheitendiskurse werden minderwertig honoriert, oder gar nicht. Geht eigentlich nicht, man macht es trotzdem, weil neben den Studierenden auch interessierte Leute aus der Umgebung kommen, die das Hardcore Continuum nicht für eine Erfindung von Fugazi halten, Leute, die den Unterschied zwischen zwischen „Higher Than The Sun“ und „More Brilliant Than The Sun“ nicht für unerheblich halten. Und vielleicht kann man irgendwem noch eine Light-Version des Vortrags verkaufen.
Mit ein paar von den Interessierten im Auto zurück zum Bahnhof, der Zug geht erst in einer Stunde. Schnell was Essen in der Fußgängerzone, ein Teller Nudeln, ein Bier, ein Wein, 22 Euro incl. Trinkgeld. Zurück zum Bahnhof, noch eine Flasche Wein für die Fahrt, 4,49 Euro incl. Plastikbecher. Noch Zeit für den Zeitungskiosk. Die neue Electronic Beats. Eigentlich ekelhaft, aber ich kann die nicht ungekauft stehen lassen. Auf dem Cover Karen O.: „Was ich tue ist irgendwie absurd.“ Geht mir auch so. Was ich tue ist irgendwie absurd. Außerdem: „Rebellion auf Rollen: Wie die afro-amerikanische Rollschuh-Szene Dance Music revolutionierte.“ Superthema. Und Michael Gira von den Swans: „Wie viele Feinde kann man sich machen?“ Also doch kaufen und sich ein bisschen ekeln, auch vor sich selbst, 4.50 Euro.
Auf dem Cover der Electronic Beats ist das Telekom-Logo in Telekom & FDP-Magenta und ebenfalls in Magenta ein Aufkleber: „Jetzt mit Augmented Reality! Mehr auf Seite 13.“ Auf Seite 13 in Magenta: „Augmented Reality – Erhalte in nur 3 einfachen Schritten Zugang zu Unmengen an Extras!“ Ab Seite 16: „Empfehlungen“ von Richard Hell, Adam Harper, Heatsick usw…ein Gespräch mit Holly Johnson über Bowie, ein Bericht über Berlins sex-positive Danceparty „Gegen“. Geld schießt eben doch Tore. Dank Telekom kann Electronic Beats mit Arto Lindsay ein paar Tage in Rio verbringen und noch ein paar weitere in New York. Man kann einen Autoren nach Philadelphia schicken, zu Besuch beim neunzig Jahre alten Marshall Allen im Studio des Sun Ra Arkestra. Man hat Zeit, Geld und Platz, die großzügig Porträtierten nehmen sich Zeit und kriegen vermutlich gutes Geld dafür, dass sie außerhalb der üblichen Promo-Schedules für ausführliche Interviews zu haben sind. Unter solchen Bedingungen muss ja was halbwegs Interessantes rauskommen, Geld schießt Tore.
Eigentlich hatte ich im Zug die neue Testcard lesen wollen. 310 eng beschriebene Seiten Pop-Kritik, Thema des Hefts/Buchs: „Bug-Report – Digital war besser“. Roger Behrens mit einem „Digital ABC“, Waltraud Blischke über „t-cardcomp – Die Musikliste zur ungeregelten Geschmackssynthese“, ein Text über „Rumorende Algorithmen. Die Sounds der Digitalisierung“ von Raphael Smarzoch, übrigens auch ein Folkwang-Referent. Oder: eve massacre: „Network of Blood. Von `Augmented Reality´ bis zum `Liquid Self´: Nathan Jurgensons Webtheorien“. Superthemen, nicht immer Supertexte. Wer für Testcard schreibt, bekommt kein Geld, dementsprechend wenig Zeit bleibt für redaktionellen Feinschliff, dementsprechend holprig, redundant, unelegant sind manche Beiträge. Im Zug an Düsseldorf vorbei, der zweite Becher Weißwein, dann doch die Electronic Beats mit dem magentafarbenen Augmented Reality-Sticker.
Electronic Beats läßt auch MusikerInnen schreiben, in der Rubrik „Empfehlungen“ feiert beispielsweise Laetitia Sadier das neue Album von Ariel Pink. Er sei gesegnet mit einem einmaligen Verständnis klassischer Songwritertechniken, schreibt die ehemalige Sängerin von Stereolab. Und weiter: „Unterstützt von der legendären Kim Fowley, die einige der Songs mitgeschrieben hat, während sie sich von einer Krebstherapie erholte.“ Hä? Wirkt der Weißwein schon? Arme Laetitia Sadier. Bei der Übertragung aus dem Englischen (oder Französischen) wurde Kim Fowley Opfer einer Geschlechtsumwandlung. Dabei postet die legendäre Kim doch dauernd Dirty Old Man-Fotos. Ein alter, gebrechlicher, mutmaßlich todkranker Mann im Krankenbett, umgeben von mehr oder weniger leicht bekleideten Frauen, die dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre jünger sind als er.
Demnächst in Electric Beats: Das neue Buch des legendären Kim Gordon über die wilden Jahre mit seiner legendären Band Sonic Youth. Der legendäre Kim Deal von den legendären Pixies und den Breeders, der legendären Band, die er mit seinem Zwillingsbruder Kelley Deal gegründet hatte mit einem Erfahrungsbericht aus dem Heroin-Rehab. Manchmal schießt Geld auch Eigentore.
Manchmal schießt Geld auch Eigentore. Wenn etwa Michael Gira im Interview mit der folgenden Frage konfrontiert wird: „Wie siehst du die zunehmende Mitwirkung der Industrie an Kunst und Kultur?“ Die Antwort von Gira ist – wie das ganze Interview – auf ziemlich durchgeknallte Weise, nun ja, interessant, wie es eben interessant ist, wenn der Gründer der Swans über die göttliche Stimme von Nina Simone spricht, über seine Abneigung gegen HipHop oder über Analverkehr von Walen. Scheißinteressant, dieses Heft, wie einst Warhols Interview-Magazin. In der Anmutung allerdings hat Electronic Beats dann doch mehr von der Apotheken-Umschau. Oder von Mobil, dem Reisemagazin der Deutschen Bahn. Ankunft Frankfurt Hauptbahnhof: 23.59, Umsteigen in die U4.
Weitere Ausgaben von Was ist Musik
Playlist
1. |
Nina Simone / Wild Is The Wind Davidheroesbowie – Mojo Presents The Artists That Influenced David Bowie / Mojo |
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2. |
David Bowie / Life On Mars? Hunky Dory / RCA |
… |
3. |
Actress / Forgiven Ghottoville / Werkdiscs |
… |
4. |
Tony Allen & Damon Albarn / Go Back Go Back / Honest Jons |
… |
5. |
Machinedrum / More Than Friends Vapor City Archives / Ninja Tunes |
… |
6. |
Karen O / The Moon Song The Moon Song / Universal |
… |
7. |
Laetitia Sadier / Oscuridad Something Shines / Drag City |
… |
8. |
Kim Fowley / Bad News From The Underworld Bad News From The Underworld / Lolita |
… |
9. |
The Breeders / Off You Off You / Rough Trade |
… |
10. |
Ariel Pink / Nude Beach A-Go-Go Pom Pom / PIAS |
… |
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