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Was ist Musik Searching for the Old Soul Rebels: Die Comebacks von Bobby Womack und Dexys (Midnight Runners)

ByteFM: Was ist Musik vom 17.06.2012

Ausgabe vom 17.06.2012: Searching for the Old Soul Rebels: Die Comebacks von Bobby Womack und Dexys (Midnight Runners)

Frankfurter Rundschau, 2004:

Bis heute singt Kevin Rowland davon, wie es ist in den Fünfziger Jahren als Sohn irischer Eltern zwischen den englischen Midlands, Irland und North London aufzuwachsen. Fremder als man denkt. Wie eine Wurst kam der schwarzgelockte Ire Kevin sich vor, wenn seine Schulkameraden ihn als ”mate” ansprachen – er hatte ”meat” verstanden. Das ewige Sichfremdfühlen - im eigenen Land, in der eigenen Sprache, in den eigenen Klamotten, im eigenen Körper - ist eine Konstituante von queerness und gar nicht lustig. Die gängigen Bilder von queerness in Pop dagegen sind Glamour-Bilder des hedonistischen Gendertroubles: Bowie´s Strapse, Enos Federboa, das Karma Chamäleon eines Boy George. Und Rühmanns Charley´s Tante. Von den zur Markt-Schau getragenen sexuellen Ambiguitäten dieser Art sind Kevin Rowland und seine Jungs meilenweit entfernt. Als sie Ende der Siebziger die Londoner Bühne betreten, tun sie dies im ”Mean Streets”-Look, benannt nach dem stilbildenden Gangsterfilm von Martin Scorsese. Dexy´s Midnight Runners im Mean Streets-Look, das sind sieben virile Kerle in engen Lederjackets, die Körper zur Drohkulisse arrangiert, auf den Köpfen Barretts oder Wollmützen, dazu Sporttaschen, über deren Inhalt man lieber nichts wissen will. Ein messerscharfes Image, auf Plakaten gern in blutiges Rot getaucht und sexuell so unzweideutig wie der Ehrenkodex der Mafia. So hatte ich die Dexy-Gang in Erinnerung, bis mich Paul Gormans Linernotes zum Best Of-Album auf verdrängte Tatsachen stiess: Der ”Mean Streets”-Look hatte bei den Dexy´s seinerzeit einen Fantasy-Patchwork-Stil abgelöst, der unter dem Namen New Romantic rückblickend als eines der schlimmsten Modeverbrechen des 20.Jahrhunderts gilt. Kevin Rowland habe den New Romanticism erfunden, ein Jahr bevor alle so rumliefen, meint Dexy´s Keyboarder Pete Saunders. Als dann alle so rumliefen, in lächerlichen Hofnarrenkostümen, mit extravaganten Haarkreationen und androgynem Schnickschnack, optierte Rowland, ein ehemaliger Friseur, für den Gegenentwurf: Gangster-Style! Und ein Albumtitel wie in Stein gemeißelt: Searching for the young soul rebels. Jung! Soul!! Rebellen!!! Schwerste Zeichen…

…erst viel später sollte ich erkennen, dass in diesen irischen Fiedeln ein utopischer Vorschein der synthetischen Streicherparadiese der Housemusic von Gay Chicago steckt. Erst viel später sollte ich erkennen, dass Kevin Rowlands Performanzen mehr dem dandyesken Bryan Ferry verdanken als dem bräsigen Belfast Cowboy Morrison. Dass Dexy Music verschwistert ist mit Roxy Music…(FR 2004)

UNCUT: Juni 2012
Roxy´s Midnight Runner – Kevin on Bryan Ferry
“I´ve always been a Roxy Fan. I got into roxy before the tuxedos. Bit I thought the tuxedo was a work of art. A stroke of genius. In 1974 when he wore that tuxedo against everyone else with long hair and jeans and denim waistcoats and shit. To wear that…it was just outrageous, it was brilliant, and I got it.”

SPEX Juni 2012-06-15
Bobby Womack: The Bravest Man in the Universe (XL)
Wenn junge bis mittelalte Briten stagnierende bis versandete Karrieren älterer R&B-Leute aus den USA wieder in Gang bringen wollen, dann lauern da allerlei Gefahren. 1983 bescherten Heaven 17 der in der Versenkung verschwundenen Tina Turner ein Comeback mit „Let´s stay together“. Der Al Green-Klassiker als Synth-Pop von britischen Soulboys, das war der Auftakt zu Turners Beförderung zur Diva des deutschen Dudelradios, da waren Heaven 17 aber schon wieder aus dem Rennen. 1998 konnte sich Dr.John nicht der fürsorglichen Belagerung prominenter englischer Musikerfans erwehren. Spiritualized, Supergrass, Primal Scream, Beta Band und Paul Weller, alle waren sie angetreten, um dem vom rechten Weg abgekommenenen Voodoo-Doctor den Spirit seiner grandiosen Gris Gris-Anfänge wiedereinzuhauchen. Das Resultat war „Anutha Zone“, der streberhaft-paternalistische Versuch des Britpop-Adels dem Native New Orleans-Doctor mal zu zeigen, was eine echte N.O.-Voodoo-Harke ist, eine selten kalte, statische Pracht von einem Album. XL Recordings Label-Chef Richard Russell versuchte vor zwei Jahren gar nicht erst, dem todkranken Gil Scott-Heron die Soundklamotten seiner Glanzzeit auf den klapprigen Leib zu schneidern, weshalb „I´m new here“ eines der Alben von 2010 war. Jamie XX trieb den Ansatz mit seiner tollen Remix-Platte logisch weiter. Damit hatte sich Richard Russell für den Job empfohlen, den seit den frühen Neunzigern weitgehend verstummten Bobby Womack in die Gegenwart zu holen. Die Vorarbeit kam von Damon Albarn, der konnte den R&B-Veteranen für ein paar Vokal-Cameos bei den Gorillaz gewinnen. Eine der virilsten schwarzen Stimmen der populären Musik als Gorilla? Womack dürfte gegrinst haben. Gemeinsam holen Albarn und Russell den bald Siebzigjährigen ins 21.Jahrhundert und widerstehen über weite Strecken der naheliegenden Versuchung, nach dem Mark Ronson/Dap Kings-Patent vorzugehen und ein duftes Retro-Soul-Album zu liefern, der Markt gibt´s ja her…
Fortsetzung in der aktuellen SPEX


Taz Juni 2012:
Eigentlich wäre Bobby Womack der ideale Kandidat für ein Alterscomeback unter der Regie von Rick Rubin. Der amerikanische Produzentenstar hat sich darauf spezialisiert, vergessenen Veteranen zu einer späten Renaissance zu verhelfen. Bei Donovan klappte das mäßig, bei Neil Diamond ganz gut, im Fall von Johnny Cash kam ein stattliches Alterswerk zustande, dass dem ergrauten Man in Black völlig neue – junge! – Fans in die Arme trieb. Rubins Methode: die sichere Vintage-Nummer. Den Sound auf die Knochen runtergestrippt, die gebrochene, vom Alter gezeichnete Stimme in Großaufnahme, hautnah am Mikro, dazu Lieder zu den ewigen Fragen des Lebens – und Sterbens. Je dichter einer vor dem eigenen Grab steht, desto mehr addieren sich Patina & Charisma zu einem wohligen Todesglamour, so das leicht nekrophile Rezept des Dr.Rubin. Mit Womack hätte das Cash-mäßig funktionieren können, schließlich bringt der Soulman neben dem passenden Alter – 68 - jede Menge Patina & Charisma mit. Mit seinen Brüdern singt der junge Bobby den Gospel, mit sechzehn nimmt ihn der große Sam Cooke unter seine Fittiche und verhilft ihm zu ersten Hits. Einer davon ist „It´s all over now“, mitkomponiert vom 20-jährigen Bobby Womack. Im fernen England covert eine Beat-Band den Song, eine gängige Praxis damals, der weiße Markt will weiße Gesichter. Der schwarze Womack ist sauer, der Schmerz läßt nach, als die Tantiemen kommen. „It´s all over now“ ist 1964 der Nummer Eins-Hit der Rolling Stones. Kurz darauf wird Womacks Mentor Cooke in einem Motel erschossen. Bobby kümmert sich um die Witwe, die wird nach drei Monaten Mrs. Womack. Es folgt eine kurvenreiche Karriere, ein paar Solohits, Sessions für Soul- und Rock-Größen, Aretha Franklin, Sly & The Family Stone, Janis Joplin. 1972 liefert Womack den Soundtrack zu dem schwarzen Krimi „Across the 110th Street“, den Titelsong recycelt Quentin Tarantino später für seine Blaxploitation-Hommage „Jackie Brown“. Zwischendurch setzt er sich mit Cowboyhut aufs Pferd und nimmt eine steinerweichende Country-(Soul)-Platte auf. In den frühen Achtzigern lieben ihn soulvernarrte junge Briten der Generation ABC, Dexy´s, Style Council & Co. für seine altersweise daherkommenden „The Poet“-Alben…
Fortsetzung neulich in der taz

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Playlist

1.  Dexy / You
One Day I’m Going To Soar / Buback
2.  Bobby Womack / The Bravest Man In The Universe
The Bravest Man In The Universe / XL
3.  Curtis Mayfield / Stone Junkie
Live / Curtom
4.  John Coltrane / Afro Blue
In A Soulful Mood / Music Collection
5.  Erykah Badu / The First Time
New Amerykah Part Two (Return Of The Ankh) / Motown
6.  Dexy’s / I’m Always Gonna Love You
One Day I’m Going To Soar / Buback
7.  Dexy’s Midnight Runners / T.S.O.P. – Let’s Make This Precious
Jackie Wilson Said (I’m In Heaven When You Smile) / EMI
8.  Derrick May / Strings Of Life
Innovator
9.  Dexy’s Midnight Runners / My Life In England
Let’s Make This Precious – The Best Of / EMI
10.  Dexy’s / Nowhere Is Home
One Day I’m Going To Soar / Buback
11.  Bryan Ferry / Smoke Get’s In Your Eyes
Another Time Another Place / Island
12.  Dexy’s / I’m Thinking Of You
One Day I’m Going To Soar / Buback
13.  O.V. Wright / Let’s Straighten It Out
The Bottom Line / Hi
14.  Bobby Womack / Behind Closed Doors
Bobby Womack Goes Country & Western / BCM
15.  Bobby Womack / Nothin Can Save Ya (Feat. Fatoumata Diawara)
The Bravest Man In The Universe / XL
16.  Bobby Womack / Dayglo Reflection (Feat. Lana Del Ray)
The Bravest Man In The Universe / XL
17.  Gorillaz / Bobby In Phoenix
The Fall / EMI
18.  Bobby Womack / Jubilee (Don’t Let Nobody Turn You Around)
The Bravest Man In The Universe / XL
19.  Bobby Womack / Stupid
The Bravest Man In The Universe / XL
20.  John Coltrane / In A Sentimental Mood
In A Soulful Mood / Music Collection