50 Jahre Telstar – Joe Meek, Sun Ra und andere Space-Kadetten
Die Gesetze der Studiotechnik nimmt er nicht als gottgegeben hin, er weiß, wann er welches Gerät gegen die Gebrauchsanweisung einsetzen kann. Joe Meek benutzt das Studio als Instrument. „It´s not what you have, it´s how you use it!” So begründet er seine Do-It-Yourself-Ästhetik. Eigenhändig bastelt er das Lansdowne Studio in Nottinghill Gate zusammen. Als erster Brite nimmt er jedes Instrument einzeln auf. Bis dahin wurde ein einziges Mikrophon in den Raum gestellt, das alle Instrumente aufzeichnet. An dieses Dogma angeblicher Authentizität klammerten sich vor allem Jazzmusiker, Improv ist was anderes. Joe Meek schneidet als Erster das vordere Fell aus der Bass Drum, legt einen Teppich rein und stellt ein Mikro davor – bald werden ihm alle folgen. Er baut ein Echogerät, entwickelt Verzerrer und primitive Overdubbing-Verfahren, um die einzelnen Spuren wieder zusammenzufahren. Der Kompressor wird zur Allzweckwaffe, den Pegel fährt er grundsätzlich in den roten Bereich. In The Red ist heute der Name einer Plattenfirma, die Roten-Bereich-Rock&Roll; von Andre Williams, den Dirtbombs und ihren Seelenverwandten in die Welt schickt. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre entstehen unter Meeks Tonregie Hunderte von Songs. Viele davon sind heute zu Recht vergessen, Radiofutter, Chartsfutter, Novelty-Hits. Aber auch Meilensteine. Dennis Preston, Meeks Studio-Boss: „Ich meine, daß er der erste Aufnahmeingenieur mit dem war, was man als Konzept einer Aufnahme bezeichnen kann. Er war also der erste `moderne´ Aufnahmeingenieur. Er machte damals, 1955 bis 1958, Dinge, die von Plattenfirmen nach ihren eigenen Maßstäben als unerhört angesehen wurden; es durfte nicht verzerrt sein, es durfte nicht zu laut sein, es durfte kein Echo haben. Ich glaube, Joe war der einfallsreichste Aufnahmeingenieur jener Zeit.“ Dennoch trennen sich die Wege von Preston und Meek Ende der Fünfziger Jahre. Meek will seine künstlerische Freiheit, keine Kompromisse mehr mit Studiobossen, Plattenfirmen, Komponisten oder Musikern. Mit der ihm eigenen Sturheit geht er keiner Konfrontation aus dem Weg und verläßt das Lansdowne Studio und damit seinen Förderer Preston. Joe Meek – meek heißt soviel wie sanft(mütig), duckmäuserisch, duldsam, geduldig, der Name paßt so gut zu seinem Träger wie der Philipp Lahms – macht sich selbständig. Die Holloway Road ist eine sechsspurige Ausfallstraße im Londoner Norden. In der Nummer 304 mietet Meek drei Etagen über einem Lederwarengeschäft, das der Vermieterin gehört. Hier richtet er mit gebrauchtem Equipment sein Studio ein. Ein Studio ohne Trennscheiben und Wechselsprechanlage. Der Gitarrist steht im Bad, die Bläser im Wohnzimmer, die Sängerin in der Küche, dazwischen rennt Meek rum und brüllt seine Kommandos. „Unfaßbar“, findet der Meekkenner Werner Voss, „daß bei diesen räumlichen Verhältnissen Plattenaufnahmen gemacht wurden, deren Qualität professionelle Studios vergeblich nachzuahmen versuchten.“ Ganze 3000 Pfund investiert Meek in seine Ausrüstung, das Geld stammt aus den Tantiemen zu „Put a ring on her finger“. Die Komposition bringt Meek einen doppelten Hit: mit Tommy Steele in Großbritannien, mit Les Paul und Mary Ford in den USA. Ja, der Nichtmusiker Meek komponiert jetzt auch, außerdem gründet er sein eigenes Label, ein für damalige Verhältnisse halsbrecherisches Unternehmen. Triumph soll sie heißen, die Firma. Dazu kommt die Produktionsgesellschaft RGM. Von da an zieren die Initialen des Robert George Meek jede Schallplatte aus seinem Haus. Endlich redet ihm keiner mehr rein. Willkommen in Meeksville, Holloway Road 304. Hier kann er die Trennung von Arbeit und Freizeit aufheben, hier kann er sich vergraben, das Studio wird zur Trutzburg gegen die feindliche Welt da draußen. Ähnliches wird von Brian Wilson erzählt, nicht die einzige Parallele, dazu später mehr. Feindlich ist die Welt in den 50ern und 60ern, wenn man schwul ist. Auch in der Großstadt London, auch im toleranten Musikbusiness. Unter Musikern ist Meeks Homosexualität bekannt, dennoch ist er Anfeindungen ausgesetzt. Wie in den USA steht Homosexualität auch in GB noch unter Strafe. 1963 wird Meek verhaftet wegen Cottaging: wie Jahrzehnte später George Michael hatte er Sex auf einer öffentlichen Toilette gesucht. Macht 15 Pfund Strafe, aber, viel schlimmer, der Fall macht Schlagzeilen. Meek wird erpreßt und mehrfach zusammengeschlagen. Seine Freunde wundern sich über die Klappentour. Schließlich hätte der mittlerweile 34-Jährige all die jungen Männer auf der Casting-Couch haben können, die in seinem Studio Schlange stehen in der Hoffnung auf eine Hitsingle. Männer wie Heinz Burt aus Hagen in Westfalen. Heinz zieht aus in die weite Welt. Auch in England bleibt er Heinz. Inspiriert von dem Science-Fiction-Film "Das Dorf der Verdammten" färbt er sich die Haare überirdisch blond, heller als Heino gewinnt Heinz das Herz von Joe Meek. Er spielt auch ganz passabel Bass, also gibt Meek ihm einen Job bei den Tornados, eine seiner häufig wechselnden Bands mit häufig wechselnden Mitgliedern und Namen. Der blonde Heinz wird der White Tornado! Eine Zeitlang lebt er in Meeks Studiowohnung, Liebe oder Karrierekalkül, keiner weiß genaues. Jedenfalls hat Heinz gleich bei zwei magischen Momenten der Popmusik die Finger im Spiel. Mit den Tornados nimmt er 1962 einen Meek-Song auf. Völlig zu Recht und unter kreativer Verwendung der deutschen Sprache schreibt der Meek-Biograf Barry Cleveland über „Telstar“: „The song embodied the youthful and optimistic outlook that was the Gestalt of the time.“ Die Gestalt der Zeit wird Anfang der 60er geprägt vom Wettlauf im Weltraum, von (Tele-)Visionen eines Lebens auf anderen Planeten, von UFOs und Flugkörpern mit schönen Namen wie Sputnik. Und Telstar. Am 10.Juli 1962 schießt die American Telephone & Telegraph Company den Fernseh-Satelliten Telstar in den Weltraum, für Meek, den ehemaligen Fernseh- und Radartechniker, ist es ein Satellite of Love. Er beschließt, dem Telstar ein musikalisches Denkmal zu komponieren. Wie aber komponiert ein Nichtmusiker? Die Meek-Technik geht so: Er singt eine Melodie über einen vorhandenen Instrumentaltrack, der mit dem zu komponierenden Song nichts zu tun hat. Dann zieht er einen Musiker hinzu, in diesem Falle Dave Adams, um seinen Gesang aufs Klavier zu übertragen. Die Klaviermelodie wird über einen exisiterenden Track gespielt. So bald der Song Gestalt annimmt, werden die Tornados gebucht und an einem Sonntagmorgen entsteht der Rhythm-Track zu einem der größten Instrumental-Hits der Popgeschichte. Auftritt Geoff Goddard: Wenn der Einzelgänger Meek je sowas hatte wie einen kongenialen Partner, dann war es Goddard. Sie teilen ihre Affenliebe zu Buddy Holly. Mit dem 1959 bei einem Flugzeugabsturz getöteten Rock'n'Roll-Star nehmen sie schon mal Kontakt im Jenseits auf, bei einer der vielen spiritistischen Seancen. Mit Goddard produziert Meek seinen „Tribute to Buddy Holly“, 1961 ein Top Ten Hit für Mike Berry & The Outlaws. Und von Goddard kommt der entscheidende Beitrag zu Telstar. Die magische Melodie auf der Clavioline. Clavioline, als wär´s ein Song von Stereolab, heißt die kleine Orgel, die den outtaspace Sound von Telstar prägt, die einem das Gefühl vermittelt, durch den Weltraum zu segeln. Meek versieht seinen Soundsatelliten noch mit ein paar überirdischen Effekten und fertig ist eine der größten Singles aller Zeiten. „Telstar“ wird in 27 Ländern Nummer Eins, unter den fünf Millionen Käufern ist auch eine gewisse Margret Thatcher, „Telstar“ ist bis heute ihr Lieblingslied. Das sollte man Joe Meek aber nicht anlasten.